Hallo zusammen,
ich bin Stotterer seit meiner Kindheit, mal mehr mal weniger, jedoch ist es immer da.
Ich war schon bei Therapien und habe auch schon einige andere Stotterer kennen gelernt und dabei gemerkt, das mich eine Sache von fast allen anderen unterscheidet: Sie stehen dazu, und ich nicht. Natürlich versuchen andere es auch zu verstecken, gerade in Situationen wo Fremde dabei sind, jedoch habe ich bis jetzt noch von keinem einzigen gehört, das der Freundeskreis nichts davon wüsste - anders als bei mir! Das gibt mir zu denken, denn all die Energie die es kostet, um niemand merken zu lassen das ich stottere, raubt mir soviel Lebensglück und Freiheit, das ich denke, dass ich mein Stottern durch dieses zwanghafte "es darf niemand merke" zu einem viel zu großen Teil meines Lebens lassen werde.
Es ist bestimmt schwer zu glauben wenn ich sage das ich wirklich stottere, und keiner von meinen Freunden etwas davon ahnt, ja sogar mein Vater letztens meinte "Du?? Du hast doch keinen Sprachfehler mehr", aber so ist es einfach. Ich schäme mich so unglaublich für mein Sprechen, das ich lieber meine ganze Kraft in das Umformen von Sätzen und Wörtern stecke, die für mich leichter zu sprechen sind, anstatt mich einfach anzunehmen, und das Stottern zu akzeptieren. Meine Freunde würden niemals auf die Idee kommen, dass ich so ein Problem habe, sie denken halt alle einfach ich bin etwas ruhiger, und sage nie mehr als nötig. Und dabei bin ich das nicht!!! Wie oft sitze ich mit Gruppen beisammen, und alle erzählen etwas und in mir wächst das Gefühl auch etwas erzählen zu möchten, jedoch weiss ich das ich höchstens 2 Sätze (die ich mir schon zurecht geformt habe) fehlerfrei aussprechen kann, und danach der erste Hänger kommen würde.
Die einzige Person, die mein Stottern wirklich erlebt, ist meine Mutter, bei der ich zur Zeit noch wohne. Sie hat mich von klein auf begleitet und sie ist somit auch die einzige Person, der ich mein wahres ich zeigen kann, wo ich fröhlich drauf los stottere und sage, was ich sagen will.
Mir wurde in letzter Zeit immer bewusster, das ich eigentlich die meißte Energie am Tage in das Verstecken meines Stotterns stecke, und mir wurde auch bewusst, das ich deswegen einfach sehr oft furchtbar traurig bin. Ich bin mittlerweile 20Jahre alt, und habe auch Freue an vielen Dingen, doch dieses Sprachproblem steht mir überall im Wege, und noch mehr ich selbst, da ich es nicht akzeptieren will/kann.
Selbst vor meiner Therapeutin verstecke ich mein Stottern und sage nie mehr, als flüssig rauskommt. Wenn ich ihr sage, wie sehr mich das alles belastet kann sie das nicht sogut verstehen, da sie mein Stottern in seiner wahren Form niemals mitbekommt.
Ich vermisse es, einfach ich selbst sein zu können, einfach mal mit jemandem zu reden und nicht vor jedem Wort überlegen zu müssen, ob ich es fehlerfrei herauskriege oder nicht. Als Kind hatte ich das Problem noch nicht und habe immer drauf los gestottert, mittlerweile ist es mir einfach nur unangenehm und ich verstecke es vor jedem, deswegen war ich auch als Kind weitaus mehr "lebendiger" und redegewandter als heute, es hat mich einfach nicht gestört.
Wenn ich Stotterertherapien besucht habe, habe ich die Zeit mit anderen Stotterern immer sehr genossen weil es einfach mal eine Zeit war, wo ich mich nicht schämen musste (wobei ich das teilweise trotzdem tat!!). Die Therapien waren jedoch leider immer nur von kurzem Erfolg, wahrscheinlich auch weil ich noch zu jung war um wirklich langfristig das Gelernt weiterzuüben im Alltag.
Jedoch Therapie hin oder her - ich bin mir ziemlich sicher das der erste Schritt, das Stottern zu lösen wäre, es zu akzeptieren.
Dieser Schritt ist jeodhc für mich unvorstellbar, was würden alle denken wenn sie mich auf einmal stottern hören würden, wo sie doch alle dachten ich sei einfach nur ein extrem ruhiger Mensch.
Ich halte das nichtmehr aus in diesem inneren Gefängnis zu sitzen, und jeden Tag ist es das gleiche Versteckspiel, und jeden Tag kann ich nicht herzhaft lachen und genießen, da ich ständig im Kopf dabei bin, mein Sprechen zu bewachen. Ich bin es so leid...
Wie ich ja am Anfang schrieb, habe ich bis jetzt noch keinen Stotterer kennen gelernt, der es wirklich vor JEDEM, selbst vor den engsten Freunden versteckt hat, aber es würde mich interessieren, ob es vielleicht doch jemandem ähnlich geht.
Wie schafft man es dieses Eis,diese selbsterbaute Mauer zu durchbrechen?
Zudem kommt bei mir hinzu, das mein Freundeskreis sehr unterschiedlich ist und ich schon sehr oft Enttäuschungen und Vertrauensbrüche erlebt habe, womit es mir ohnehin noch schwerer fällt, überhaupt zu jemandem Vertrauen aufzubauen...
Vielen Dank für eure Antworten,
und liebe Grüße.