Ein interessanter Text eines an den Stott-dot-com-boys interssierten Schriftstellers

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  • ...folgender Text erreichte heute meine Mailbox. Wo soll man ihn sonst reinstellen, wenn nicht hier? Der Herr Uschmann ist auf jeden Fall bei den Stott-dot-com-boys mit dabei - und auch bei der Lüdenscheider Schule.



    Die Entdeckung der Langsamkeit
    oder
    Wirksame Wege zu einem erfüllteren Leben


    Es ist der Abend, an dem ich bei einem alten Freund eingeladen bin. Ich stehe erst am Mittag auf und quäle mich durchs Bad, meine kleinen Übungen für Rücken und Muskeln, die ich morgens mache, lasse ich weg und mein Frühstück besteht aus einem schnellen Apfel und einer Tasse Kaffee. Ich will noch vieles erledigen, bevor ich abgeholt werde und mich auf den Weg mache und so setzte ich mich an den Computer, um eine Menge geschäftliche E-Mails zu beantworten. Zeitgleich lasse ich das Radio laufen, um Fußball zu hören - ein wenig Entspannung muss sein, schließlich ist es Samstag. Als ich den ersten Schwung E-Mails herausgeschickt habe, komme ich auf die Idee, eine Waschmaschine anzusetzen, stopfe - mit halbem Ohr beim Vfl Bochum - die Wäsche in die Maschine und setzte mich wieder an den Computer. Ich bin müde und habe wieder dieses Gefühl, abzudriften, gegen einen Widerstand anzukämpfen und mich auf nichts wirklich konzentrieren zu können. Den Inhalt mancher Post nehme ich gar nicht richtig auf, öffne ein Fenster für eine Antwort, finde keine Worte, schließe es wieder. Derweil beginnt mein Rücken zu schmerzen, der Vfl schießt das zweite Tor und das Postfach auf meinem Bildschirm sieht nicht ordentlicher aus. Mir fällt ein, dass ich dem einen Kunden noch ein Expose schreiben muss und ich öffne das Programm, doch fehlen mir Daten und ich gehe ins Netz, um meine Frage in die Suchmaschinen zu tippen. Ich finde keine Frage, keine passenden Stichwörter, die Maschine beginnt laut zu schleudern, die Schlusskonferenz dröhnt aus dem Radio und ich fühle mich wie jemand, der erst handelt und dann denkt, jemand, der das Ergebnis noch ohne den Weg, das Ziel ganz ohne Start erreichen möchte. Plötzlich ertönt aus dem Bad ein Geplätscher, ich zucke zusammen, weil mir einfällt, dass ich den Ablaufschlauch nicht in die Wanne gehängt habe, ich renne ins Bad und schnappe mir den wild spritzenden Schlauch, stehe in dreckigem Wasser, bin über und über besudelt, hole Aufnehmer und Handtücher und wische das Bad, ärgere mich um jede Verrenkung, die ich machen muss, um um das kleine Regalschränkchen aus Bambus drumherum zu putzen und werfe wütende Blicke auf die Uhr, die mir sagt, dass mein Freund mich in zwei Stunden abholt. Als ich wieder ins Wohnzimmer komme und das Bad mehr schlecht als recht gesäubert ist, bemerke ich, dass ich immer noch online bin, die Verbindung nicht gekappt habe und nun über eine Stunde umsonst bezahlen muss. Das Radio plärrt einen Hit, den ich nicht mag. Der Tag ist im Grunde gelaufen.


    Wenig später kommt der Freund und ich freue mich auf den Abend, glaube, dass er mich retten kann, wenigstens etwas nach so einem Tag. Es ist schon dunkel, als wir durch die Stadt fahren und während mein Freund am Steuer mir von seinen Neuigkeiten erzählt, denke ich an die unbeantworteten Mails, obwohl ich das nicht will. Ich rutsche auf dem Beifahrersitz herum, mein Rücken tut immer noch weh.


    Bei unserem gemeinsamen Freund angekommen, nehme ich mir ein Bier und höre die inneren Richter in mir plappern. Du sollst doch nicht mehr so viel trinken. Aber höchstens zwei. Du willst doch morgen joggen gehen. Und vor allem: hast du dir nach so einem Tag überhaupt einen Feierabend verdient? Ich gehe ins Wohnzimmer. Die Leute sitzen auf den Couchen oder stehen in Grüppchen zusammen, ich kenne fast alle zumindest vom Sehen, ich würde gerne zu jemandem hingehen, mich vorstellen und eine neue Möglichkeit eröffnen, doch ich bin drin, drin in meinem Tunnel, drin in meinem Behälter, der mich durch den Abend treibt. Mein Freund legt eine Platte auf und ich staune, denn es handelt sich um eine Musik, die er früher nie mochte. In unserer Jugend hat er mich immer damit aufgezogen, dass ich sowas höre und seine Musik dagegengestellt und jetzt legt er sie selber auf, besitzt sie, hat sie sich gekauft. Na und? quasseln meine inneren Richter, Was beweist das? Es ist die letzte Platte dieser Gruppe und die war doch eh ganz anders als alle davor! Vielleicht war die schon immer eher auf der Seite deines Freundes und passte gar nicht zu dir! Und wie viele Scheiben aus dem Genre hat er denn jetzt, na? Sieh mal nach! Albern ist das, völlig albern, denke ich. Ich bin ein erwachsener Mann und kann mögen, was ich will. Da gibt es kein entweder-oder, keinen Geschmacksverrat an die falsche Partei. Und während ich das denke, schiele ich in sein Plattenregal und suche nach weiteren Indizien für einen Umschwung meines Freundes, suche wie einer, der eine Rechtfertigung sucht, eine Erlaubnis, zu mögen, was er will, zu sein, wie er ist. Ich finde nichts. Finde sonst nur den alten Schmonz, der mich immer so bedrohte, der vor mir schwebte wie eine Anklage, obwohl ich auch vieles von dem Zeug mochte, doch konnte ich das nicht zulassen, denn dann hätten sie gewonnen, die Stimmen, die mich bekehren wollten. Entweder - oder. Entweder. Oder.


    Mein Freund spricht mich an und sagt lachend: Die Zeiten ändern sich, was?, doch ich höre ihn kaum, denn im Moment bin ich in der Vergangenheit und höre nur den Jungen, der mich damals gehänselt hat für meinen Geschmack und es wohl nie so meinte, kann nicht umhin, mich innerlich zu wehren gegen die Anklagen, die so laut und deutlich in meinem Kopf herumschwirren, als hätte es die Zwischenzeit nie gegeben. Als ich mit anderen Bekannten auf der Couch sitze, Menschen aus derselben Branche, die mich für meine Kompetenz bewundern und neueste Geschichten aus dem Pool meiner Ideen hören wollen, muss ich mich richtig zwingen, so gut zu sein wie immer, zu erzählen und zu gesellschaften, wie es mir eigentlich riesigen Spaß macht und wie ich es sonst frei atmend genieße. Heute Abend atme ich nicht, halte mich kaum über Wasser wie ein Schwimmer in Not und schieße meine Tore aus einem dauerhaften Rückstand heraus, den ich niemals aufholen kann. Ich trinke immer mehr, ich tadele mich deswegen, ich tadele mich wegen des Tadelns und weil ich so streng mit mir bin. Eine Stimme sagt: Trink ruhig, doch gehe um jeden Preis morgen joggen, damit dus nicht wieder einreißen lässt! Die andere sagt: Was bist du eigentlich für ein rigider Spießer geworden? Kannst du nicht mal feiern, ohne dir ein schlechtes Gewissen zu machen?
    Du bist doch bescheuert mit deiner Selbstdisziplin! Die Stimmen schlagen auf mich ein wie Boxer von allen Seiten. Ich nehme die Hände hoch, hänge in den Seilen und warte, bis es vorbei ist. Warte...


    Wer kann machen, dass es vorbei ist? Wer ist schuld daran, dass ich in den Seilen hänge? Mein Job? Die Uhr? Die vielen Mails? Die Waschmaschine? Die Tatsache, dass ich nicht reich genug bin, um meine Wäsche von Bediensteten waschen zu lassen? Der Vfl Bochum? Das Schicksal?


    Ich. Nur ich.


    Spulen wir zurück.


    Ich habe in der ganzen Zeit nicht mal den Tag begrüßt. Ich stand nicht auf mit dem Gedanken: Okay, das ist jetzt ein neuer Tag, viele Stunden zu meiner Verfügung, ein Werk für sich, anders als alle anderen, mit einem individuellen Touch, den ich ihm geben kann. Nein, ich stand auf, als wäre allein das Schlafen lästig gewesen, als wäre der Schlaf überhaupt eine Sünde, die unseren einen Tag, den Tag unseres ganzen Lebens, nur unterbricht und bremst und uns davon abhält, vorwärts zu kommen. Weil ich zu spät aufstand, nahm ich mir nicht die Zeit für ein Frühstück, ein paar Übungen und ein wirkliches Um-Mich-Kümmern im Bad. Ich stürzte an den Computer und seine Arbeit, ich schenkte weder dem Tag noch meinem Körper irgendeine Aufmerksamkeit und meinem Geist ließ ich keine Luft zum Atmen. Hatte ich vergessen, zu erwähnen, dass ich meditiere? Jeden Morgen? Eigentlich? Nun denn, ich tippe wohl zu schnell, will hier fertig machen, mache schon wieder die alten Fehler. Zurück zu jenem Samstag.


    Was kann der Mensch alles gleichzeitig tun? Vieles. Was kann der Mensch alles gleichzeitig wahrnehmen? Wirklich wahrnehmen? Sich bewusst machen? Wenig. Haben Sie schon mal das Experiment gewagt, eine Sache wirklich zu tun? Das Essen zu schmecken, ohne dabei Zeitung zu lesen, Radio zu hören oder Notizen zu machen? Im Wald zu spazieren, ohne dabei an den Stapel im Büro, den Ärger mit den Nachbarn oder den herausgeschobenen Rückruf zu denken? Die Bäume anzusehen, ihre Rinde, ihre Blätter, das Farbenspiel? Zu riechen? Zu hören? Haben Sie sich einmal irgendwo einfach nur hingesetzt und wahrgenommen, was da war? Einfach so? Gelesen, ohne etwas anderes zu denken? In eine Musik versenkt, bis das Rauschen im Kopf verstummte? Dann wissen Sie schon, was ich an diesem Samstag hätte tun können, jedenfalls bis zu einem gewissen Grad.


    Ich musste Mails beantworten? Gut. Sehen wir mal nach, wie viel ich geschafft habe. Fünf Antworten, davon zwei, in denen ich wichtige Aspekte vergessen hatte. Drei hatte ich komplett vergessen und zweien von den fünf, die ich geschafft habe, hatte ich schon zwei Tage vorher geantwortet und bloß vergessen, die Einträge zu löschen. Zum Aufräumen ließ ich mir halt keine Zeit. Tempo Tempo. Voran voran. Die Wäsche war sauber, aber das Bad verwüstet. Das Expose, das ich zu schreiben anfing, erstickte im Keim.

  • Stellen wir uns nun vor, ich hätte nur eine, bloß eine einzige Sache aus diesem Pool von Aufgaben erledigt und mich voll auf sie eingelassen. Kein plappernder Fußball aus dem Radio nebenher, keine schleudernde Waschmaschine aus dem Badezimmer. Nehmen wir an, ich hätte zunächst meinen Posteingang aufgeräumt, alles auf den neuesten Stand gebracht, durchgeatmet und dann nur dem Herrn Fischer geantwortet, dem aber richtig. Ich hätte das aktuelle Konzept umschrieben, wichtige kleine Fragen gestellt, die mir wieder eingefallen wären, weil nichts anderes meinen Geist durchzuckte und meine Post mit kleinen, freundlichen, humorvollen Details gespickt. Nehmen wir andersrum an, ich hätte mir ein Blatt Papier genommen, die Recherchen fürs Expose geplant und wäre dann mit genau durchdachten Suchwörtern ins Netz gegangen. Nach zwei Minuten wäre ich fündig geworden. Nehmen wir aber auch an, ich hätte nur gewaschen oder ausschließlich auf dem Bett liegend Fußball gehört. Selbst dann hätte ich vielleicht endlich mal diese geheime Funktion meiner Maschine entdeckt oder das Fußballdeutsch mal unter ganz anderen Gesichtspunkten gehört. So aber hatte ich Überschwemmung, peinliche Mails und unnötige Internetkosten.


    Denken wir weiter. Nehmen wir an, ich hätte vor dem Besuch beim alten Freund auf meinem Bett gesessen und meditiert. Denken Sie dabei bitte nicht an mystische Esoterik, religiösen Überbau oder merkwürdige Geheimlehren. Ich rede lediglich davon, ruhig zu sitzen, seinen Atem zu spüren und sich zu erlauben, an nichts zu denken. So wie Sie, wenn sie im Wald sind und ihre Blicke in den goldenen Baumwipfeln verlieren oder im Urlaub am Meer sitzen und stundenlang einfach nur das Rauschen genießen und die Zeit vergessen. Nehmen wir also an, ich hätte da so gesessen, meine Muskeln und meinen Kiefer entspannt, Stille einkehren lassen und geatmet. Plötzlich wäre mir eine Idee gekommen, eine Erinnerung an alte Zeiten und an den Unterschied von damals und heute. Ich hätte sehr sicher gewusst, dass diese komischen Richter, die mein Freund in unserer Kindheit durch die Hänseleien unwillentlich gepflanzt hatte, mir nichts mehr anhaben können, dass ich nun ein erwachsener Mann bin und alles mögen und genießen darf, was ich möchte. Ich hätte mir erlaubt, den Abend zu genießen, als neuen Abend, als Fortschritt, auch als Übung, die alten Stimmen in meinem Kopf zu verjagen und das Neue zu genießen, die alten Platten aus seinem Schrank zu ziehen und diesmal das erste Mal richtig zu hören. Ich hätte auf der Couch gesessen und meinen Berufskollegen überschäumend von meinen Ideen erzählt. Ich hätte gespürt, dass ich der freie Mann bin, der ich damals auf dem Nachhauseweg von der Schule immer nur wünschte zu sein.


    Doch all das habe ich nicht gemacht. Ich habe nach dem Trocknen des Bades weiter unnütz gewirbelt und nichts geschafft, mir negative Gedanken über verlorene Zeit gemacht und den Abend nicht als Chance, sondern als Ausflucht begriffen. Bier und Lärm, Leute und Qualm. Ich ging in den Ring, ohne jede Deckung und kam bereits aus einer wüsten Schlägerei. Doch ich redete mir ein, dass es die Attacken gar nicht gäbe, und der Mensch, der ich sein kann, blieb außen vor und hatte keine Chance.


    Wenn Sie das kennen, diesen Sumpf, in dem man versinkt, diesen Treibsand, in den man sich immer tiefer hinein strampelt, je mehr man sich wehrt, dann sei Ihnen eine kleine Geschichte erzählt, die der Psychologe Bernd Schmid in seinem Aufsatz über Zwickmühlen in freier Anlehnung an Kafka erwähnt:


    Es geht um eine Person, die auf einer Reise ist. Bei einem Stadtrundgang kommt sie in
    ein Gebäude, von dem sich herausstellt, dass es ein altes Gericht ist. Zufällig kommt der
    Reisende in eine laufende Verhandlung und hört zu. Allmählich stellt er zu seiner
    Verwunderung fest, dass über ihn verhandelt wird. Zuerst will er es nicht wahrhaben,
    bleibt aber und versucht schließlich, gegen die Anklagen zu kämpfen, verfällt in
    Resignation, verzweifelt und kämpft schließlich wieder. Doch am Ende wird er
    verurteilt und hat die Wahl zwischen Erhängen und Erschießen.


    Erst dadurch, dass der Mann sich wehrt, wird er zum Angeklagten, erst dadurch, dass er sich verteidigt, wird dieser merkwürdige Prozess real. Es gibt auch einen anderen Weg, doch den kann er nicht erkennen:


    Der Anfang der Geschichte mit einer anderen Person bleibt derselbe. Nachdem der
    Reisende festgestellt hat, dass über ihn verhandelt wird, und den starken Impuls
    verspürt, dagegen zu kämpfen, erinnert er sich daran, wie er in die Geschichte
    hineingekommen ist, steht leise auf und verläßt die Verhandlung, um weitere
    Sehenswürdigkeiten in der Stadt an zu sehen.


    Dieser Mann kann erkennen, dass nicht die Verhandlung das Problem darstellt, sondern der ganze Gerichtssaal. Nehmen wir diesen als Grenze unserer Lebenswelt, als unsere Wirklichkeit an, werden wir immer verlieren, egal, wie tapfer wir uns verteidigen. Erkennen wir aber, dass wir jederzeit gehen können und keiner uns aufhält, haben wir es geschafft.


    Ein paar Techniken, die mit Sicherheit helfen, um Sie vor dem trügerischen Treibsand des Gerichtssaales zu warnen, möchte ich Ihnen mit auf den Weg geben. Sie stammen allesamt aus dem Feld der modernen, angewandten Psychologie, vor allem der Transaktionsanalyse, mit der sich zu beschäftigen auch für uns ganz normale Menschen kein Problem darstellt und sehr empfehlenswert ist. Sie fühlen sich doch auch besser, wenn Sie wissen, wie Ihr Computer funktioniert, Ihr Auto oder das beste Rezept Ihrer Küche. Sie kennen den Triumph und diese aufatmende Sicherheit, wenn man weiß, warum etwas gerade nicht klappt und man in Ruhe eine Lösung angehen kann, anstatt hilflos wie ein Angeklagter davor zu stehen. Warum sollten Sie dann nicht unser aller Verhalten besser kennen lernen, die Logik unserer Psyche, die kleinen Reparaturen und die winzigen Änderungen im Rezept, die schon so viel bewirken könnten, wenn, ja wenn man sie nur kennt. Wer sie kennen lernen möchte, der folge den Buchtipps am Ende des Artikels und wer wirklich ernste Probleme hat, dem sei gesagt, dass nur die Anwendung der nun folgenden Techniken allein nicht hilft, um elementare Probleme zu lösen. Aber sie hilft, um aus diesem zerrenden Treibsand rauszukommen, der uns handlungsunfähig macht und lähmt, und um überhaupt wieder Luft holen zu können. Wir sind solchen Phasen nicht hilflos ausgeliefert, wir müssen nicht in den Seilen warten wie der Boxer, bis es endlich aufhört. Wir können durchatmen, uns aufrichten und wieder in den Ring zurückkehren. Und das geht so:


    Lassen Sie locker!


    Wenn wir in den Seilen hängen, sind wir zumeist auch verspannt. Der Rücken schmerzt, der Kiefer ist hart wie Stahl und die Zähne sind aufeinander gebissen, was wir erst bemerken, wenn wir es uns bewusst machen. Selbst das Atmen - der Quell unseres Lebens - scheint uns in diesen Augenblicken lästig zu sein. Lassen Sie los, lösen Sie die Spannung, atmen Sie durch, nehmen Sie sich die Auszeit von wenigen Sekunden, die die ganzen nächsten Stunden retten kann, egal ob Sie gerade einen Vortrag beginnen, eine mündliche Prüfung abliefern, einen Computerfehler beheben oder die Waschmaschine anmachen müssen (denken Sie an den Schlauch!).


    Gehen Sie aus dem Gerichtssaal


    Wenn Sie spüren, wie alte Stimmen Ihnen die Sicherheit nehmen. Wenn Sie merken, wie jemand Sie in einer Diskussion fertig macht, weil er Ihnen all Ihre Zuversicht nimmt und Ihnen das Gefühl gibt, Ihre eigene Wirklichkeit wäre nur eine kindische Albernheit und nicht einen Pfifferling wert, dann machen Sie sich bewusst, dass es meist nicht an dem Thema, Ihrer Kompetenz oder der Wahrheit liegt, dass Sie sich gerade so mies fühlen, sondern daran, dass Ihr gegenüber die Zeiten in Ihnen weckt, in denen Sie das dumme Kind waren, das bei den Erwachsenen nicht mitzureden hatte. Psychologen reden hier von einer Eltern-Ich auf Kindheits-Ich-Transaktion. Machen Sie sich bewusst, dass es so etwas gibt und dass Sie raus können aus dem Gerichtssaal. Erinnern Sie sich, dass Sie ein erwachsener Mensch sind, der auch dann sicher, glücklich und ausgeglichen sein kann, wenn er dem Anderen wirklich zuhört und manch eine andere Meinung Ihn sogar überzeugt. Es ist im negativen Sinne kindisch, den scheinbar Überlegenen in allem zu folgen. Doch ist es das auch, wenn man sich kategorisch gegen jede Veränderung wehrt, weil man Inspiration mit Bedrohung verwechselt. Schicken Sie den Richter heim, der da durch Ihr gegenüber zu sprechen scheint und lassen Sie sich inspirieren statt bedrohen!

  • Aktionsorientierung


    Woran denken Sie, wenn Sie einen Text schreiben, ein Haus bauen, ein Essen zubereiten oder für das Tennismatch am Wochenende trainieren? An die Kritiken, die Ihr Text bekommen könnte? An den Tag, an dem das Haus endlich fertig ist? An die Reaktion der Gäste auf das neue Rezept? An das Break im ersten Satz, welches der Gegner niemals erzielen darf? Wenn Sie so denken, ist es unwahrscheinlich, dass Sie Erfolg haben. Und selbst, wenn Sie Erfolg haben, hat Ihnen der Weg dorthin nur Mühen, Ärger und Stress gebracht. Sie sind beständig - wie manche Kampfsportler sagen würden - von der Zentrallinie abgekommen. Diese aber ist es, die zählt. Will sagen: indem Moment, wo Sie etwas tun, denken Sie nur an diese eine Sache. Seien Sie diese Sache. Jemand, der eines Tages Marathon laufen will, muss mit einer sehr kurzen Strecke anfangen. Jemand, der einen sehr langen Roman verfasst, beginnt immer mit dem ersten Satz. Dächte er im Moment des Schreibens an seine Kritiker, an die Verkäufe, an die Korrekturen oder an den kaputten Wagen, verlöre er schon an Intensität und Ruhe, und sowohl die Qualität als auch der Erfolg würden ausbleiben. Es mag für viele immer noch merkwürdig klingen, aber alle, die je mit Spitzensportlern, Megastars, großen Künstlern oder Topmanagern zusammengearbeitet oder sich mit ihren Biographien befasst haben, werden es bestätigen können: der dauerhafte und wirklich befriedigende Erfolg kommt nie aus der hektischen, ängstlichen und ergebnisorientierten Fixierung auf das Ziel, sondern immer aus dem im positiven Sinne autistischen Sich-Einlassens auf den Weg dorthin. Solange der Weg auch sein mag, es gibt immer nur den nächsten Schritt, sagt die Schildkröte bei Momo und wer sich fragt, warum so viele Stars, Sportler oder Milliardäre gerade auf dem Höhepunkt ihres Erfolges den Drogen und der Depression verfallen, findet die Antwort genau hier: sie haben es nicht wegen der Sache getan, sondern nur wegen des Ergebnisses, sie hatten die Goldmedaille, den Oscar oder den unendlichen Reichtum und wussten nun - am Ziel angekommen - keinen Sinn in ihrem Leben mehr. Diejenigen hingegen, die schreiben, musizieren, laufen, schwimmen, programmieren, entdecken, lehren oder lernen, weil es ihnen Spaß macht, es zu tun, weil es ihnen Freude macht, immer besser zu werden als persönliche Befriedigung und Kampf gegen sich selbst, nicht als ein Ok, das immer nur von den anderen abhängt - diejenigen werden zumeist erfolgreich und glücklich. Und sie sind ersteres bereits lange vorher. Denn sie wissen, dass sie Autor, Sportler oder Künstler schon immer sind, sobald sie sich diesen Dingen widmen und nicht erst, wenn irgendwer das erste Buch verlegt, den ersten Golden Globe verleiht oder man eine Zehntelsekunde schneller ins Ziel kommt. Ist der zweite, der eine Zehntelsekunde später ankam, etwa kein Sportler? Lebt er etwa nicht genau dasselbe Leben wie der Gewinner, dasselbe intensive Leben für eine ganz bestimmte Sache? Entscheidet die Zehntelsekunde über das okay Ihrer Existenz? Nein? Eben.


    Seien Sie bewusst


    Es gibt eine nette Anekdote aus dem Buddhismus, mit der ich diesen Beitrag abschließen möchte. Sie erzählt von einem jungen Buddhisten, der nach fünf Jahren im Kloster zu einem höheren Meister kommt und sich sehr fortgeschritten fühlt, bis ihn der Meister fragt, wo er vor der Tür seine Schuhe abgestellt hätte. Der junge Mann weiß es nicht. Daraufhin sagt ihm der Meister, er solle noch mal fünf Jahre meditieren gehen.


    Bewusstheit ist der einfachste und zugleich schwierigste, der banalste und zugleich wichtigste Schlüssel auf dem Weg zu innerer Ruhe und die beste Technik gegen den Treibsand und das Gericht. Sehen Sie sich um. Werden Sie sich vollkommen bewusst, was um Sie ist. Sehen Sie die Maserung Ihres Schreibtisches und erinnern Sie sich daran, wie Sie ihn damals mühsam mit ihrem Bruder aus dem LKW gezogen haben. Sehen Sie die kleine Katze aus Ton, die Ihnen ihre Mutter geschenkt hat und riechen Sie plötzlich den Duft der Kastanienbäume in jenem fernen Herbst. Lassen Sie sich Zeit vor einem Bild, dass Sie im Museum sehen oder bei einem Buch, dass Sie gerade lesen. Glauben Sie, das Sie etwas verpassen, wenn Sie dieses eine Buch zu langsam lesen und dafür andere nicht lesen können? Sie glauben gar nicht, was Sie verpassen, wenn Sie das genaue Hinsehen niemals lernen. In unserem Medienzeitalter sind die Aufmerksamkeitsspannen kürzer geworden als die Bildwechsel beim Zappen. Das ist kein Pladoyer gegen das Fernsehen. Es ist ein Pladoyer für die Bewusstheit. Haben Sie jemals etwas wirklich gesehen, sich gefragt, wie die Figuren gezeichnet sind und wie der Regisseur eine Geschichte spinnt? Wissen Sie, wie ein Zimmer aussieht, nachdem Sie wieder herausgegangen sind? Sind Sie schon einmal durch Ihre Stadt gegangen und haben sich die Häuser, die Architektur, die Parks, die Kirchen oder die Menschen so angesehen, wie Sie es im Urlaub tun, wo kleine Tafeln von der Geschichte des Ortes erzählen, die Sie mit bester Laune und Neugier lesen? Auch Ihre Stadt hat eine Geschichte. Es ist Ihnen auch erlaubt, im Alltag bewusst zu sein.


    Das beste Mittel gegen den Treibsand und das Gericht unseres Lebens, dass uns zu Tode hetzt und uns zu hilflosen Angeklagten macht, ist die Langsamkeit. Sie ist verpönt, verboten und mit schlechtem Gewissen bestraft in unserer modernen und effizienten Welt. Doch wer sie für sich entdeckt, der gewinnt alles und den Erfolg, den man sich nur durch Hektik, Verbissenheit und Verkrampfung zu erkämpfen können glaubt, als Nebenprodukt gleich dazu.


    Probieren Sie es aus.
    Sie haben nichts zu verlieren.


    Oliver Uschmann


    Gewidmet meiner Freundin, die mir zeigte, wo das Gericht einen Ausgang hat.


    Zur Lektüre:


    Berne, Eric: Was sagen sie, nachdem sie guten Tag gesagt haben? Psychologie
    des menschlichen Verhaltens. 15. Auflage. Frankfurt a.M. 2000.


    Harris, Thomas A. / Harris, Amy Bjork: Einmal ok-Immer ok. Transaktionanalyse für den
    Alltag. Reinbek 1985.


    Germek, Björn: Endlich fließt's. Kampfkunst als Selbsttherapie. Online bei
    www.active-books.de


    Murphy, Shane: Die Kunst, erfolgreich zu sein. Acht Schritte zur persönlichen Bestleistung.
    München 2000.


    Nadolny, Sten: Die Entdeckung der Langsamkeit. 20. Auflage. München 1990.


    Schmid, Bernd: Zwickmühlen oder Wege aus dem Dilemma-Zirkel. In: Zeitschrift für
    Transaktionsanalyse in Theorie und Praxis. #1. 3. Jg. 1986. [Sonderdruck].

  • Oliver Uschmann, der sowohl den oben stehenden Text als auch die Rezension schrieb, die man auf der SDCV-Site nachlesen kann, wird im Frühling seinen ersten Roman veröffentlichen!!! Ich freue mich sehr für ihn und mache an dieser Stelle sehr gerne Werbung:


    Oliver Uschmann - Hartmut und ich
    (VÖ 25.05.2005)

    Muss man Always immer tragen, nur weil sie so heißen? Darf man Fahrradfahrer auf offener Straße bewusstlos schlagen? Kann man schwer erziehbaren Katzen durch antiautoritäre Methoden zu einem besseren Leben verhelfen? Hartmut will es wissen! Der unglaubliche Roman einer unglaublichen Männer-WG.



    Hartmut und ich
    Fischer Taschenbuch Verlag
    ISBN 3-596-16615-2

    http://www.fischerverlage.de/sixcms/detail.php?template=fv_wide_wrapper&_content_template=buch_detail&_navi_area=fv_home&_navi_item=03.00.00.00&id=227417

    http://www.amazon.de/exec/obid…96888/028-5769016-6136510



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    Und wo wir schon mal dabei sind: auch von mir, einem ehemaligen Stott Dot Com Boy, gibt es eine neue Veröffentlichung: Franz Kafkas Schloss-Roman oder K.s Sieg über sich selbst. Magisterarbeit. Käuflich zu erwerben bei www.diplom.de



    Kölle Alaaf!
    Euer
    Björn