Björns 1. Erfahrungsbericht

Kostenlos: 5 Übungen gegen Stottern

Mit unseren erprobten Übungen lernst Du, Dein Stottern zu reduzieren – kostenlos und von zuhause.

Jetzt anmelden und sofortigen Zugang zu den Übungen gegen Stottern erhalten.

    • Offizieller Beitrag

    Liebe LeserInnen!


    Weil Björns 2. Bericht, den ich kurioserweise als erstes ins Forum gestellt habe, großen Anklang gefunden hat, bringe ich nun auch seinen ersten Bericht in diese Kommunikationsplattform. Vielleicht wird der eine oder andere von Euch, durch Björns wunderschöne Art zu schreiben, angeregt, an seiner jetzigen Situation mit aller Energie zu arbeiten.


    "Es ist besser, ein Kerze anzuzünden, als über Dunkelheit zu klagen."


    In diesem Sinne: Viel Spaß!


    -----------------------------------------------------------------------


    Erfahrungsbericht – das Stotterer-Training bei Hans Liebelt in Lüdenscheid...


    ... kam so plötzlich in mein Leben, dass ich erst jetzt richtig begreife, was sich mir da für eine Chance offenbart hat. Dennoch spüre ich, dass das genau der richtige Zeitpunkt war, etwas Derartiges zu erleben.


    Um das, was für mich dort passiert ist, verständlicher zu machen, muss ich etwas weiter ausholen.


    Ich stelle mir schon sehr lange immer wieder dieselbe Frage: wie kann es sein, dass ich, als selbstbewusster junger Mann, die 1996 in Bonn erlernten, normalerweise gut greifenden Sprechtechniken einfach nicht in den Alltag umsetzen kann?


    Es war immer wieder die gleiche Situation: der Björn saß 20 Minuten an seinem Lesetext, übte die schon längst perfekt erlernten Sprechtechniken, ging dann zum Telefon, rief den unfreiwilligen Übungspartner an, und als der dann abhob, sprang der Hebel im Kopf um. Welcher Hebel?, wird sich jetzt vielleicht der oder die eine oder andere fragen. Der für mich allesentscheidende Hebel ist hier gemeint, der Hebel, der unter anderem schon immer verhinderte, dass ich mich auf mein Sprechen verlassen konnte.


    Es gibt in meinem Kopf und somit auch in meiner Sprechmotorik genau zwei Arten zu sprechen: entweder super angespannt und hilflos oder einfach nur flüssig. Leider schaffte ich es nie, den Hebel zwischen „ja, die Techniken funktionieren“ und „nein, die Techniken können nicht funktionieren“, willentlich umzulegen. Somit richtete sich mein Sprechverhalten immer nach der Laune meines Unterbewusstseins, die meistens schlecht war. Und das, obwohl ich alles getan hatte, was ich konnte.


    Ich bin kein Profi im Analysieren der menschlichen Psyche, aber ich mache mir besonders seit einem Jahr sehr viele Gedanken darüber, wie es auf psychischer Ebene zu erklären ist, dass ich funktionierende Techniken habe, die nur dann funktionieren, wenn dieser Hebel im Kopf auf „ja!“ eingestellt ist.



    Vor einem Jahr nämlich hat sich bei mir folgendes ereignet: ich fing mal wieder intensiver an, mich um eine Verbesserung meines Sprechens zu bemühen. Ich erreichte – durch eine weitere ambulante Therapie – auch eine Verbesserung, die mein Unterbewusstsein ganz strikt mit sehr heftigen Depressionen belohnte. Ich hatte auf einmal Panikattacken, hatte Angst vor meinem eigenen Spiegelbild, meiner eigenen Stimme, vor allen Dingen, die mich irgendwie nach vorne bringen könnten.


    In den Jahren meiner Pubertät hatte ich öfters mal den sehr penetranten Gedanken, mein Leben vorzeitig zu beenden, weil es sich mir so schwarz darstellte – und dieser Gedanke kam auf einmal zurück. Das war vor ziemlich genau einem Jahr, und ich fühlte mich sehr hilflos.


    Ich redete hauptsächlich ganz lange mit meiner Mutter darüber, aber irgendwie half mir das auch nicht so viel weiter. Ich hatte Angst, verrückt zu werden, redete mir sehr lange ein, bereits verrückt zu sein. Denn mein Leben stellte sich mir sehr surreal vor, das heisst ich erlebte alles wie hinter einer dicken Panzerglasscheibe.


    Alle meine Leute schienen kilometerweit von mir entfernt zu sein, ich war mit mir alleine – immer! Ich konnte vor mir nicht fliehen, fürchtete mich vor meinem eigenen Bewusstsein. Ich fuhr überall hin, Hamburg, Schweden, Berlin... mein Bewusstsein war immer bei mir und jagte mir Angst ein.


    Ich meldete mich bei einer Psychologin an, bei der ich immer noch überflüssigerweise auf der Warteliste stehe (es haben halt viele Leute Probleme mit sich selbst).


    Aber gleichzeitig hatte ich auch die größten Erfolgserlebnisse, die man sich überhaupt vorstellen kann: ich schrieb eine Hausarbeit für die Uni: 1,3 (die erste „1“ seit der Grundschule!), ich absolvierte ein sehr gutes Praktikum bei der Taz-Ruhr-Redaktion, bekam dort ein supergutes Zeugnis, das wirklich nicht alle bekommen. Ich erlebte allerlei Fortschritte mit meinem Stottern...


    Aber die ganze Zeit, das ganze Jahr 2000, kam mir mein Leben wie ein einziger Traum vor. Zwar ein größtenteils schöner Traum, aber dennoch furchteinflössend, weil ich nicht aufwachen konnte. Und immer die Angst, tatsächlich verrückt zu werden, durchzudrehen und irgendetwas zu tun, was nicht mehr rückgängig gemacht werden konnte. Immer die Angst, dass sich der Traum in einen Albtraum verwandeln könnte.


    Ich versuchte, die Angst aufzuschreiben, sie auf Tonband zu sprechen, ich versuchte, mit einigen Leuten darüber zu reden – aber nichts hinderte meinen Kopf daran, ständig in Panik auszubrechen.


    In meiner Not besuchte ich dann im Spätherbst einen Psychologen des Studierendenhauses an der Uni. Bei ihm bekam ich nicht einen Ton heraus, und ich fühlte die ganze Zeit, dass im Prinzip diese Sitzungen überhaupt nichts bringen. Weil das Problem woanders lag.



    Und irgendwann unterhielt ich mich abends beim Bier mit einem guten Kumpel, der mir schon länger mal etwas von seinem „geistigen Stottern“ erzählen wollte. An diesem Abend packte er aus, was er damit meinte: er sagte mir, dass er manchmal so komische Vorstellungen in seinem Kopf hätte, was das für Vorstellungen waren, sage ich jetzt hier nicht. Ist ja auch nicht wichtig.


    Er sagte, die Vorstellungen seien schon jahrelang dort drinnen, und er hätte die ganze Zeit Angst gehabt, ein Psychopat zu sein. Gefährlich zu sein. Er hätte lange versucht, sich damit abzufinden, dass er einfach total durchgeknallt sei, und dass er diese Vorstellungen wohl akzeptieren müsste. Bis er durch einen Zufall an ein Buch gekommen sei, das (glaube ich) „Was machen Sie, nachdem Sie guten Tag gesagt haben?“ hiess. Dieses Buch ist (glaube ich) von jemandem namens Bern, und in ihm ist die sogenannte Skripttheorie erklärt, die beschreibt, warum wir Menschen Dinge tun, die uns gar nicht so bewusst sind. Wir haben vorgeschriebene Regeln in unseren Köpfen, die zumeist gegen uns arbeiten. „Skripts“ nennen sich diese Regeln.


    Mein Kumpel erzählte und erzählte, er berichtete mir von „Verliererskripts“ und von Menschen, die sich selbst bestrafen müssen (beispielsweise mit Selbstverletzung durch Rasierklingen oder so etwas), weil es ihnen eine Zeit lang gut ging.


    Tja, und da ging mir ein Licht auf: können meine Ängste / Traumwahrnehmungen / Depressionen daher kommen, dass ich Anfang des Jahres eine Veränderung angestrebt habe, die mein Unterbewusstsein so nicht haben wollte?


    Ja! Mir wurde in den Tagen danach immer mehr bewusst, was überhaupt mit mir los ist: ich lebe seit zwei Jahren selbständig, ohne meine Eltern, in Eigenverantwortung. Ich mache Erfolge in der Uni, beim Wing Tsun (chinesische Kampfkunst) etc. – und jetzt noch das Stottern verändern?


    All das arbeitete gegen meine „Verliererskripts“, gegen die Strukturen in meinem Kopf, die mir unter anderem sagten und sagen:


    1. Du bist auf deine Eltern angewiesen. Du kannst nicht selbständig leben.


    2. Alle Veränderungen ins Positive bedeuten Schmerzen. Am wohlsten fühlst du dich, wenn du dich im Selbstmitleid suhlen kannst.


    3. Im Grunde bist du auf der Welt, um ständig auf die Schnauze zu fallen und dir Gedanken zu machen.


    4. Alle Versuche, etwas gegen das Stottern zu unternehmen, scheitern.


    Mir wird seitdem immer klarer, dass diese „Verliererskripts“ gegen mich arbeiten, dass sie nicht zulassen wollen, dass ich gewinne, dass ich mich verändere, dass ich mein Stottern loswerde... Seitdem ich das weiss, ist die Angst, richtig verrückt zu werden, nicht mehr ganz so gross. Denn seitdem habe ich einen Gegner und muss jetzt nur noch einen Weg finden, ihn zu besiegen. Ich glaube, ihn gefunden zu haben.


    Ich habe versucht, darauf einzugehen, indem ich mir dachte: du musst diese vernichtenden Strukturen doch ändern können! Aber ich wusste nicht wie. Ich unterhielt mich oft mit diesem besagten Kumpel, der unter dem „geistigen Stottern“ leidet, stand und stehe in regem Emailkontakt mit einer um 13 Jahre älteren Frau, die sich ebenfalls schon lange mit der Skripttheorie auseinandersetzt – alles half ein bißchen, aber eben nicht genug.


    Zwischendurch passierten noch einige dramatische Geschichten, die hier aber den Rahmen sprengen würden. Ich veränderte meine Ansichten zu einem Großteil, versuchte, für alles offen zu sein, was mir über den Weg lief. Und dann lief mir tatsächlich etwas über den Weg: das Seminar von Hans Liebelt.


    (Fortsetzung in nächsten Beitrag)

    • Offizieller Beitrag

    Hans Liebelt lud mich Ende Februar 2001 auf ein Seminar von ihm ein, aus heiterem Himmel. Mittwoch hatte ich davon gehört, Donnerstag hatte ich mich auf seiner Homepage informiert, Freitag angemeldet, und Sonntag saß ich dann schon mit Hans und zwei anderen Kursteilnehmern in einer netten Kneipe in Lüdenscheid.


    Am Montag ging es dann los, und erst da wurde mir richtig bewusst, dass dieses Seminar haargenau in meine Gedanken hineinpasst, es war so, als hätte es genau jetzt kommen müssen. Ohne die depressiven Anfälle seit Anfang 2000 und die genau entgegensteuernden Erfolge in meinem restlichen Leben hätte ich nie mit meinem Freund darüber geredet, hätte mir nie Gedanken über die Strukturen in meinem Kopf gemacht, hätte dann wohl auch nicht so spontan das Seminar von Hans Liebelt besucht – weil ich vielleicht viel zu skeptisch gewesen wäre.



    Das war also die Vorgeschichte, und jetzt folgt der Erfahrungsbericht.


    Als Van Riper-„Sklave“ bekam ich ja am Montag erstmal einen Schock, als Hans Liebelt sagte, dass es nicht sein Ziel sei, das Stottern zu akzeptieren, sondern er sagt, sein Ziel sei, möglichst immer fliessend zu reden. Und er sei sich auch vollkommen sicher, dass wir alle das könnten. Weil: in den Momenten, in denen wir nicht übers Stottern nachdenken, sind wir flüssig. Wir können perfekt Selbstgespräche führen oder uns etwas vorlesen, können uns mit unseren Haustieren unterhalten und so weiter.


    Er geht davon aus, dass das Stottern hauptsächlich ein mentales Problem ist, und dass man durch mentales Training die alten Strukturen, die uns zum Stottern zwingen, überlernen kann. (Ich hoffe, dass ich die Grundzüge seines Ansatzes richtig referieren kann, denn die menschliche Psyche ist ja doch ziemlich kompliziert und daher auch nicht ganz so leicht zu erklären.)



    Wir waren ja alle mal Kinder, und für diese Kinder hat es wohl irgendwann mal einen Grund gegeben zu stottern. Diesen Grund gibt es nun nicht mehr, und eigentlich müssen wir nicht mehr stottern. Um das aber zu begreifen, müssen wir nach und nach auf den Grund, den das Kind damals hatte, kommen – um dem Kind dann auch zu sagen, dass dieser Grund nicht mehr existiert, dass es nun erwachsen werden und aufhören kann zu stottern.


    Hans hat folgende Gleichung aufgestellt: Wer stottert, atmet nicht und wer nicht atmet fühlt nicht. Wenn wir nicht atmen müssen, müssen wir nicht fühlen, was käme da eher gerufen als ein Block?


    Wir haben also erstmal eine wunderbare Art zu atmen gelernt, die sog. Flankenatmung, bei der es darauf ankommt, möglichst viel Luft in die Seiten zu atmen und sie sofort wieder gleichmässig ausströmen zu lassen. Es ging ziemlich schnell, bis wir mit dieser Art zu atmen sehr flüssig waren. Ich war am Montagmorgen noch ziemlich „blockbestraft“, aber als ich dann die neue Art zu atmen hatte, konnte ich eigentlich sofort flüssig reden. Der Hebel war umgelegt, er sagte mir jetzt: „Ja, du kannst / darfst flüssig reden!“ Und das tat ich dann auch.



    Der Vorteil am fließenden Sprechen ist – neben dem fließenden Sprechen an sich –, dass man viel besser auf seine Gefühle achten kann, wenn man sich nicht bei jedem zweiten Wort mit den Blocks herumquälen muss. Und das war es ja, was wir machen wollten: wir wollten uns unsere Gefühle ansehen, um wie gesagt auf den Kern unseres Daseins zu stoßen, dorthin, wo der Grund für die Beibehaltung unseres Stotterns liegt.


    Die andere Sache war, dass wir positive Sätze an die Hand bekamen, mit denen wir die alten Strukturen überlernen können. Eine von meinen bösesten Strukturen ist zum Beispiel dieses „Siehst du? Schon wieder ein Rückfall! Du packst es nicht!“ Das ist ja das Fatale an den Menschen, die ein Verliererskript mit sich herumtragen: sie sind Seiltänzer ohne Sicherheitsnetz, die beim ersten Fehler mit dem Kopf auf den Boden knallen und sich danach dreimal überlegen, ob sie noch einmal hochklettern sollen.


    Die anderen Menschen, die Menschen mit Gewinnerskripts, haben dieses Sicherheitsnetz, und sie denken sich: „Dann klappt es halt beim nächsten Mal!“


    Das Ziel muss also unbedingt sein, dieses Verliererskript zu entwurzeln und es durch ein Gewinnerskript oder wenigstens durch ein Von-Sich-Überzeugt-Sein-Skript zu ersetzen.


    „Wahrnehmungslenkung“ heisst das Zauberwort, mit dem ich mittlerweile sehr viel anfangen kann. Wenn wir es schaffen, unser Bewusstsein regelmässig mit positiven Sätzen vollzutanken, dringen diese Sätze zwangsläufig irgendwann auch ins Unterbewusstsein, wo sie nach und nach die alten (negativen) Sätze ersetzen sollen.


    Durch Meditation, derer wir sehr viel auf dem Seminar lernten, stoßen wir immer weiter auf die alten negativen Strukturen, sehen immer mehr ein, wie sehr sie uns im Wege stehen – und können positiv auf sie eingehen. Und irgendwann passieren dann eben die Dinge, an die wir glauben.


    Wir bauen uns unsere Realität, was man zum Beispiel daran sieht, dass ich von einigen Dingen fest überzeugt bin, die auch wirklich dann so eintreten. Ich hoffe nicht sondern ich weiss, dass ich Auto fahren kann – und, was ist? Mittlerweile steuere ich ein Auto durch die Gegend, ohne über den Vorgang des Autofahrens nachzudenken. Ich hoffe auch nicht, dass ich mit dem Zehn-Finger-System meine Geschichten, Hausarbeiten oder Seminarberichte schreiben kann sondern ich weiss es. Und ich kann am PC manchmal schneller schreiben als reden, auch jetzt noch. Ich laufe, ohne darüber nachzudenken, und so kann ich im Prinzip auch reden, ohne darüber nachzudenken.


    Das Problem ist, dass mein Unterbewusstsein irgendwann mal gelernt hat, dass ich eben nicht fliessend reden kann. Es haben sich die schon oft angesprochenen Strukturen gebildet, die sich bei jedem Block bestätigt fühlen, sich dadurch Nahrung holen, wachsen und gedeihen, neue Knospen kriegen usw. Jeder Block bestätigt den Satz: „Du kannst nicht flüssig sprechen.“, daher ist es unglaublich wichtig, keinen Block stehenzulassen.


    Auch das haben wir auf dem Seminar lange geübt. Wir waren angehalten, uns gegenseitig daran zu erinnern, dass wir nicht den kleinsten Stolperer so lassen, wie er ist. Immer den Satz noch einmal sprechen, die Strukturen damit abtöten, am besten für immer.


    So verbrachten wir die fünf Tage, die leider viel zu schnell vergingen, mit reichlich Atemübungen, mit vielen Gesprächen und vor allen Dingen mit den verschiedensten Meditationstechniken.


    Meditation ist ein gutes Mittel, um herauszufinden, was überhaupt in uns los ist, und so führte Hans uns in einige Techniken ein, die mir allesamt sehr gut gefallen haben. Ich habe endlich einen guten Zugang zu Meditation erhalten, und auch jetzt noch meditiere ich zwei- bis dreimal am Tag jeweils 20 Minuten. Weil es einfach Spaß macht, manchmal habe ich sogar richtige Glücksmomente. Jetzt schon, nach zwei Wochen.



    Die für mich bewegendste Meditation war allerdings eine, die ich zu Hause alleine niemals machen würde. Sie hieß Rebirthing, und war – wie der Name bereits sagt – darauf ausgelegt, möglichst weit in die Vergangenheit zurückzureisen. Durch Hyperventilieren brachten wir uns in einen drogenrauschähnlichen Zustand – Hans sagte, der Effekt sei vergleichbar mit dem von LSD – und stießen in Räume unseres Unterbewusstseins vor, die ich persönlich vorher noch nicht sehen konnte.


    Ich weiss nicht, ob ich es mir nur einbildete, aber ich hatte zumindest das Gefühl (und darauf kommt es ja an), dass ich mich an meine Taufe zurückerinnern konnte. Davon ausgehend liess ich meine gesamte Kindheit an mir vorbeiziehen – wie ich des nachts zwischen meinen Eltern im Bett lag, den Kopf auf dem starken Arm meines Vaters; wie sehr ich mich fürchtete, als meine sehr oft nachts arbeitenden Eltern unterwegs waren und ich auf einmal davon überzeugt war, dass in meinem Schlafzimmer jemand Böses auf mich warten würde; wie dann auf einmal mein grosser Bruder seine Hand um mich legte und mir das Gefühl gab, nicht alleine zu sein; wie dieser grosse Bruder dann unendlich viele Jahre später von einem Zug angefahren wurde (aber überlebt hat, was das grösste Glück überhaupt ist!) und meinem immerhin schon 17jährigen Unterbewusstsein dadurch suggerierte, doch alleine zu sein...



    Wie dem auch sei, ich wurde sehr traurig, fing an zu weinen – und war unendlich froh, dass Hans Liebelt in meiner Nähe war. Er deckte mich mit einer Wolldecke zu, brachte mir Taschentücher, flüsterte mir warme Worte zu, gab mir das Gefühl, dann doch wieder nicht ganz alleine zu sein.


    Ich nahm mir vor, meinem Bruder einen Brief zu schreiben, in dem ich ihm die ganzen Gefühle, die ich während dieser Meditation ihm gegenüber hatte, aufschreiben wollte. Das ist jetzt zwei Wochen her, und mittlerweile sehe ich die Sache wieder etwas nüchterner. Mein Kopf hat sich wieder eingeschaltet, und ich empfinde es nun als zu kitschig, ihm das mitzuteilen.


    Als dann alle Gefühle draußen waren, fing ich auf einmal an zu lachen. Ich lachte mir die Seele aus dem Leib, konnte mich gar nicht mehr beruhigen. Aber es war ein befreites Lachen, ungezwungen und aus dem Bauch heraus – und das tat gut! Ich lachte bestimmt eine Viertelstunde, und als Hans uns dann mitteilte, dass wir allmählich aufwachen und uns die Beine vertreten könnten, lachte ich immer noch. Ich versuchte dann aufzustehen, wurde mir aber bewusst, dass es wohl noch sehr lange dauern würde, bis ich wieder Herr meiner Knochen sein würde.



    (Fortsetzung im nächsten Beitrag)

    • Offizieller Beitrag

    Im Nachhinein bin ich jedenfalls um einiges schlauer, auch was den Hebel angeht. Denn es kamen drei oder vielleicht vier Menschen in meinem Rausch vor: meine Eltern, mein Bruder und ich meine, ich hätte auch meinen längst verstorbenen Opa im Kopf gehabt. Egal, sie alle haben mich auf jeden Fall richtig geliebt und lieben mich immer noch. Sie alle hatten schon immer Einfluss auf mein Unterbewusstsein, und sie alle haben schon immer versucht, positiv auf mein Stottern einzugehen.


    Wie gesagt, ich bin höchstens Laie, was die Psychologie angeht, aber ich glaube nicht, dass es falsch ist, wenn ich es folgendermassen interpretiere: alle Menschen, die mich als kleines Kind geliebt haben, haben mir besondere Liebe und Aufmerksamkeit zukommen lassen, weil ich stotterte!


    Ich habe diesen Punkt neulich noch in meiner Selbsthilfegruppe vorgetragen, worauf gesagt wurde, dass das zwar eine weit verbreitete Theorie sei, dass sie aber mittlerweile nicht mehr ganz so angesehen sei. Ich sagte daraufhin, dass ich ja keine Theorie gefühlt habe sondern meine Gefühle, was ja ein Unterschied ist! Ich wusste ja auf einmal, was schiefgelaufen war, nämlich, dass das kleine Kind in mir immer schon gedacht hat, dass es, wenn es stottert, immer geliebt würde.


    Und dann wurden mir in Windeseile Dinge klar, die mich so schockierten – unglaublich! Ich begriff, dass ich – während mein Bruder in seiner Jugend einen Haufen schräger Dinge anstellte und mir dadurch den Toleranzweg freiboxte – immer der „Jüngste“ war, und die Hoffnung meiner Eltern: der Björn nimmt keine Drogen, der Björn klaut nicht, der Björn ist gut in der Schule, zieht sein Abitur durch, der Björn ist einfach nur lieb und brav und erfolgreich – der Jüngste eben. Und sein Stottern? Ach, na ja, jeder hat eben sein Kreuz zu tragen. Er schafft das schon.


    Ich begriff, dass ich durch dieses lieb-und-brav-Sein einen ganz entscheidenden Punkt versäumt habe: mich aus meiner Kind-Perspektive zu befreien. Dadurch wurde mir auch klar, warum ich schon mein ganzes Leben lang ein Punkrocker sein wollte: dagegen sein! Sich gegen Autoritäten auflehnen! Sein Ding durchziehen!


    Ich wurde dann ja auch, als ich wegem meines Studiums von meinen Eltern weg und nach Bochum zog, ziemlich heftig – also nicht mehr der brave Björn sondern dann doch eher der biertrinkende Rumpöbler mit Irokesenhaarschnitt, der maulstarke Punkrockgitarrist, der auf der Bühne stehende und schwitzende Rebell, der Systemzerstörer, der Linksextreme etc.


    Ich war endlich derjenige, der ich immer sein wollte: nicht mehr der brave Björn. Aber warum zum Teufel fühlte ich mich die ganze Zeit so beschissen? Ich fühlte mich so beschissen, weil nicht ich, der erwachsene Björn, so extrem sein wollte, sondern es war das Kind-Ich, das dieses extreme Verhalten als Schutz erklärt hatte. Alles passt zusammen: ich – bzw. das Kind in mir – habe immer noch riesen Probleme mit jeglicher Art von Autorität – und zwar aus dem Grund, weil die Erzieherin im Kindergarten damals durchsetzen wollte, dass ich noch nicht so weit bin, den Kindergarten zu verlassen.


    Ich habe eine Abneigung gegen jede Art von Lehrer, ich hasste die meisten Lehrer an meiner Schule. Ich erklärte bisher unbewusst jeden Professor in der Uni zu meinem Feind; selbst wenn ich eine Hausarbeit schreibe, kriege ich manchmal mit, wie ich den Vorgang des Schreibens als eine blutige Schlacht ansehe. Wenn ich in einer Sprechstunde eines Professors, eines Arztes oder bei wem auch immer bin, erschrecke ich mich manchmal richtig, wenn sie mir einen schönen Tag wünschen. Denn dann bekomme ich erstmal mit, dass sie mir nichts Böses wollen – was aber nichts daran ändert, dass ich in ihrer Gegenwart die allergrößten Blocks habe.


    Auch jetzt noch, während ich diese Zeilen schreibe und an so eine Sprechstunde denke, bilden sich schon geistige Blocks und ich fürchte mich ehrlich gesagt vor der nächsten Sprechstunde; weiss aber, dass ich das eigentlich nicht müsste und dass es unbedingt wichtig ist, auch diese Strukturen abzuschalten. Denn sie stören!


    Ich wusste schon immer, dass ich niemals für länger unter einem Chef arbeiten könnte, denn ich wäre nach einigen Tagen nervlich am Ende. Ich kann keine Autoritäten akzeptieren, mit einer Ausnahme: meine Lehrer im Wing Tsun, meine Sihings („älterer Bruder-Lehrer“). Denn diese habe ich mir selbst ausgesucht, ausserdem habe ich ja mit Wing Tsun angefangen, um meinen Bruder zu beeindrucken. Dieser ist nämlich mittlerweile auch ein Lehrer im Wing Tsun, und ich bin so stolz auf ihn, wenn ich ihn in seinem Unterricht sehe.


    Ich verstand in diesen Überlegungen, dass ich immer noch der kleine Junge meiner Eltern bin, und dass ich, wenn ich am Wochenende bei ihnen bin, sehr extreme Schlafprobleme habe und mich bei ihnen überhaupt nicht mehr wohl fühle. Ich weiss jetzt, dass ich einen grossen Abstand brauche, um mein Kind-Ich in Ruhe erwachsen werden zu lassen.


    Zum Erwachsenwerden des Kind-Ichs gehört das Abschütteln der Autoritätsprobleme, das Abschütteln des selbst auferlegten Zwangs, möglichst extrem zu sein (was ich eigentlich auch gar nicht bin), das Abschütteln der depressiven Haltung, die ich manchmal an den Tag lege, wenn ich will, dass sich jemand um mich kümmert – und im Endeffekt das Abschütteln des Stotterns!!!


    Das ist das Ziel. Und ich müsste auf diesem Weg so einige Dinge aufgeben, die mein Kind-Ich sich ausgedacht hat, damit es mir besser geht. Das Dagegensein im Punkrock zum Beispiel steht dieser Entwicklung im Wege, es sei denn, ich kann es zu einem Dagegensein im Sinne von „Ich schaffe alles, was ich mir vorgenommen habe und dabei steht mir niemand im Weg!“ umzumodelieren.


    Das wäre ja was, denn Punk an sich ist immer noch der Himmel auf Erden für mich. Ausserdem sind ja auch einige Sachen dabei, die ich aus meinem Erwachsenenbewusstsein immer noch so sehe: dass das kapitalistische System zum Beispiel irgendwann einmal die Welt untergehen lassen wird, hat nichts mehr mit der Ansicht des Kindes in mir zu tun sondern ist eine Ansicht, die ich mir angelesen habe. Und ich werde als Erwachsener (!) alles tun, um andere Menschen von dieser Ansicht zu überzeugen.


    Um mal den Bogen zu finden: es war die Tiefenmeditation bei Hans, die mich auf all diese Gedanken gebracht hat. Hans Liebelt hat mir geholfen, diese tiefen Erkenntnisse zu gewinnen – und sie hinterher auch zu verdauen. Denn natürlich hatten wir die Gelegenheit, darüber zu reden. Ansonsten wäre ich glaube ich wieder sehr depressiv geworden, es hätte sich ein Rückstau gebildet, wie der, der das ganze Theater Anfang 2000 eingeleitet hat.


    Irgendwann in dieser Woche habe ich mit Hans auch noch über meine mündlichen Magisterprüfungen gesprochen und ihm gesagt, dass meine Professoren (diese bösen Professoren!) mir geraten haben, diese mündlichen Prüfungen am besten schriftlich abzulegen. Ich habe ihm gesagt, dass ich dazu keine Lust hätte, aber auch genau wüsste, dass ich mit meinem starken Stottern keine Chance hätte, die Prüfungen mit einer für mich akzeptablen Note abzulegen. Hans hat mir daraufhin nach dem Seminar einige positive Sätze per Email geschickt, die ich mir nun dreimaltäglich vorspreche und die mir helfen werden, wenn ich sie in einer bildhaften Weise regelmässig verinnerliche. Da bin ich inzwischen (fast) sicher.


    Meine Gedanken erschöpfen sich langsam. Ich habe das Gefühl, viel zu wenig wiedergegeben zu haben, was tatsächlich während des Seminars passiert ist – und viel zu persönlich geworden zu sein. Aber das ist es ja, was dieses Seminar ausgemacht hat: das Unterbewusstsein stand die ganze Zeit im Vordergrund, und all das, was drumherum passierte, war im Prinzip gar nicht so wichtig.


    Ich kann nicht mehr sagen als das, was ich bereits gesagt habe: wir haben meditiert, geatmet, uns theoretisch und praktisch mit dem Unterbewusstsein beschäftigt, unsere Wut rausgelassen und uns mit positiven Sätzen vollgepumpt.


    Ich weiß, dass ich dranbleiben muss – das ist ja bei jedem Ansatz dasselbe. Man muss immer weitermachen, auch wenn die Erfolge anfangs so groß sind. Das hat Hans auch immer wieder betont.Dennoch, ich bin von Van Riper abgebogen, habe die Autobahn gewechselt. Hans ist der Wegweiser, der mir gezeigt hat, dass ich die seit fünf Jahren gesperrte Van Riper – Autobahn umfahren kann.


    Ich stehe nun in regelmässigem Kontakt mit Hans Liebelt, und auch Roland Pauli ruft mich des öfteren an. Ich glaube, dass ich, wenn ich so weitermache, irgendwann das Kind in mir großgezogen haben werde – und dann in den meisten Situationen beständig flüssig reden kann. Wie schon jetzt seit drei Wochen. Im April werde ich das nächste Stotterer-Training zumindest tageweise wieder mitmachen. Damit es weiterhin bergauf geht.


    Und ich habe ein neues Motto: Stay yourself, not punk!


    Danke, Hans!


    In diesem Sinne,
    Bloody Björn Germek.