Auf mehrfache Anregung von LouLou, die mein Buch "Endlich Fließt's", welches nun endlich dank StarOffice online gebracht wird, folgt nun das Interview, das ich mit Hans zu diesem Zwecke führte. Viel Spaß!
?: Hans, du bist ja, was deine Arbeit mit Stotterern angeht, ein Autodidakt. Ein Seiteneinsteiger…
!: Ja, richtig.
?: Der Sinn meines Interviews ist, dass ich darstellen möchte, wie deine spezielle „Seiteneinsteiger-Arbeit“ aussieht. Ich möchte deutlich machen, dass es eben nicht nur darum geht, das Stottern einfach „wegzukriegen“, also die Symptome wegzubekommen, was ja eigentlich ein eher oberflächlicher Erfolg ist, sondern ich möchte zeigen, was dahinter steckt. Ich möchte vor allem die inneren Erfolge ins Licht rücken, die bei einer solchen Arbeit stattfinden können. Viele Außenstehende denken ja, dass das Stottern nur eine Frage von Symptomen ist. Von dieser Einstellung möchte ich in diesem Interview wegkommen.
Erstmal etwas Biographisches: du bist ja selbst auch ein Stotterer. Und du erzählst oft, dass du dir viele Jahre deines Lebens beim Reden die Zunge blutig gebissen hast. Was war das, das dann irgendwann in dir gesagt hat: „Jetzt ist Schluss!“?
!: Im Grunde war’s einfach die Verzweiflung. Ich habe gemerkt, dass vom Sprechen unheimlich viel abhängig ist. Ich habe als Werbetexter gearbeitet und hatte sehr viele Kundenkontakte. Bei manchen Gesprächen, zuletzt auch bei immer mehr Gesprächen, habe ich mir, wie du schon sagtest, während des Sprechens die Zunge blutig gebissen. Ich war eben so verkrampft, weil ich etwas unbedingt rausbringen wollte, dass es auf einmal „Klack!“ machte und ich meine Kiefermuskulatur nicht mehr kontrollieren konnte…
?: Und dann hast du irgendwann gesagt: „Jetzt reicht es!“
!: Ja, genau, dann reichte es wirklich, weil es einfach hart an der Grenze des Erträglichen war. Dann habe ich mich entschlossen, da richtig was dran zu tun.
?: Dann hast du eine Therapie gemacht.
!: Dann habe ich eine Therapie gemacht, genau. Ich habe über irgendjemanden erfahren, dass es in Holland jemanden gibt. Das Del-Ferro-Institut, die sollten da ganz gute Erfolge haben. Ich habe mich dort angemeldet, habe mir für die ganze Geschichte ein Kredit aufgenommen, das war mir völlig egal. Und dann bin ich da hingefahren. War auch relativ schnell flüssig. Das hat mir also sehr viel genutzt.
?: Die meisten von uns Stotterern haben ja schon eine Reihe von Stotterertherapien gemacht. Es ist durchaus zu beobachten, dass die wenigsten die Anfangserfolge langfristig halten konnten. Hast du da eine Theorie, woran das liegt, dass die meisten Stotterer zurückfallen und sich danach nicht mehr fangen?
!: Ich denke, das Stottern ist letztendlich eine Gewohnheitssache. Der gesamte Organismus hat sich auf das Stottern eingestellt, der macht das praktisch automatisch. Es ist sehr schwierig, diese Gewohnheiten deines Körpers zu verändern. Eigentlich geht es relativ schnell, dass man es willentlich anders macht und seine Muskulatur unter Kontrolle kriegt, aber diese Angewohnheiten sind halt eingefleischt. Man hat sich dran gewöhnt, und wenn man nicht aufpasst, wenn man nicht bei jedem Fehler handelt und nicht sofort wieder eine funktionierende Technik anwendet, dann ist man eben sofort wieder in seinem Stottern drin. Ich denke mal, die meisten, die es versuchen, sind da ganz einfach nicht aufmerksam genug. Wenn man eine gewisse Zeit gut spricht, dann aber die Sprechtechniken nicht mehr anwendet, dann kann es zu Rückschlägen kommen. Man bekommt Frust, weil man versucht zu handeln, man aber merkt, dass es zeitweise nicht ganz so gut läuft. Ich denke, dass die meisten sich davon einlullen lassen und aufgeben. Das habe ich nicht gemacht, da habe ich auch überhaupt keine Lust zu. Ich weiß genau, wenn ich das mache, wenn ich mich meinem Schicksal ergebe, das Stottern wieder zulasse, dann wird’s wieder stärker. Deswegen glaube ich, dass es unheimlich wichtig ist, dass man immer weiter macht. Am Ball bleiben!
?: Ich verfolge ja eine Theorie, die unter Stotterern kaum jemand mit mir verfolgt. Nämlich die Skripttheorie. Mir ging es so, als ich die Sprachtherapie in Bonn machte, da war ich ja die ganze Zeit vollkommen flüssig. Das ging über ein halbes Jahr so. Ich hatte aber die ganze Zeit das Gefühl, dass das nicht richtig ist. Dass ich zu einem solchen Erfolg keine Berechtigung habe. Und als ich dann meinen ersten Block hatte, kam so ein riesengroßes „Siehst du, Björn? Du musstest verlieren!“ in mir hoch. Das hängt ja ganz bestimmt nicht mit der Sprechmuskulatur zusammen. Das muss doch irgendwelche Ursachen haben.
!: Wie gesagt, das Stottern wird irgendwo eine Gewohnheit. Nicht nur der Körper merkt sich dein Stottern, sondern natürlich auch deine Gedanken. Für mich ist der einzige Weg, seine Gedanken zu verändern, dass man sich ständig positive Gedanken macht. Sobald man merkt, man hat negative Gedanken, sowas wie: „Ich bin ein Versager!“, „Ich bin ein Stotterer!“, dann muss man eingreifen und diese Gedanken verändern. Diese Skripttheorie ist deswegen interessant, weil sie deutlich macht, dass in uns unbewusste Verhaltensmuster existieren, für die wir uns als Kind eines Tages mal entschlossen haben und diese Gedanken dann fest in uns verankert haben. Dadurch, dass wir diesen Verhaltensmustern entgegentreten und sie immer wieder in Frage stellen bzw. verneinen oder durch andere Muster ersetzen, haben wir auch eine Chance, das zu verändern. Andernfalls besteht diese Chance nicht.
?: Das heißt, dass man dann aber auch genau wissen muss, was das für Muster sind. Du brauchst also einen hohen Grad an Eigenerkenntnis.
!: In jedem Falle. Du musst aufmerksam sein. Das Wichtigste, was wir im Leben zu lernen haben – nicht nur in Bezug auf das Stottern – ist, dass wir sehr wach und aufmerksam sind. Wir müssen genau merken, was mit uns passiert, was wir jetzt gerade machen.
?: Wir sind ja beide auch in der Stotterer-Mailingliste. Mir persönlich fällt dort oft eine starke Lethargie auf. Die Leute unterhalten sich über Antidepressiva als Mittel gegen das Stottern. Ich finde, es fällt echt auf, wenn jemand in der Liste mitschreibt, der bereit ist, sich auf den Hintern zu setzen und an sich zu arbeiten. Nur ganz wenige Stotterer haben die Energie, sich da hineinzuhängen. Hast du eine Idee, wo die Lethargie unter Stotterern herkommt?
!: Also erstmal zu den Pharmaka. Ich würde nicht unbedingt empfehlen, mit Beta-Blockern an das Problem heranzugehen, sondern wenn, dann lieber mit Viagra. Das ist jetzt natürlich scherzhaft gemeint, aber in der Tat ist es so, dass, wenn du richtig gut drauf und locker bist (wo dich zum Beispiel guter Sex hinführt), dein Stottern nicht mehr so stark ist. Du bist dann frei, gelöst – warum solltest du dann noch stottern?
Aber mal im Ernst, warum das in der Mailingliste so ist…
?: … Nicht nur in der Mailingliste, das war jetzt nur ein Aufhänger…
!: Ja klar, ich weiß. Es ist im Allgemeinen so, dass viele Leute sehr viel klagen. Auf meiner Homepage ist ja ein Spruch, den ich absolut klasse finde. Der heißt: „Es ist besser, ein Licht anzuzünden, als über Dunkelheit zu klagen!“ Ich finde das unheimlich wichtig, und ich denke mal, so eine Einstellung musst du einfach haben. Ich kann dir aber auch nicht sagen, warum die Leute sich so hängen lassen. Warum das so ist, weiß ich einfach nicht. Ich nehme an, es hängt mit der ganz natürlichen menschlichen Trägheit zusammen. Veränderungen will man eigentlich nicht. Man bleibt lieber in seinen alten, eingeschliffenen Spuren, weil man die kennt und sich in ihnen sicher fühlt. Es ist ja auch so, dass Paare, die sich nicht mehr verstehen und sich bloß nur noch zoffen, trotzdem zusammen bleiben, weil sie die Situation kennen. Deswegen quälen die sich Jahrzehnte. Aber ich glaube nicht, dass das Sinn der Sache ist.
?: Aber auf der anderen Seite ist ja schon der Wunsch da, dass man nicht mehr stottern muss. Dennoch gibt es diese Hilfslosigkeit, die dann eher in Lethargie umschlägt. Einer meiner ehemaligen Therapie-Kollegen, übrigens auch ein Hagener, sagt mir immer, wenn wir übers Stottern reden, dass ich es bleiben lassen soll, daran zu arbeiten. Dass ich aufgeben soll, weil es ja eh keinen Sinn hat. Der hat absolut resigniert…
!: Du brauchst Ziele, an denen du ganz beharrlich kleben bleibst. Wenn ich keine Ziele habe und diese nicht verfolge, nicht daran arbeite, dann habe ich keine Chance. Was dann zwangsläufig auftritt, ist Resignation und Lethargie. Ich muss, wenn ich mich ändern will, immer weitergehen. Ich brauche positive Gedanken: „Reichtum ist mir beschieden.“, „Eine wunderbare Partnerin ist mir beschieden.“, „Das fließende Sprechen ist mir beschieden.“ Was auch immer. Diese Gedanken muss man ständig im Kopf haben, und sobald irgendetwas anderes auftaucht, sofort handeln! Nicht schlafen! Nicht drinbleiben! Machen! Eingreifen!