Artikel Ärzteblatt zum Thema Stottern

Kostenlos: 5 Übungen gegen Stottern

Mit unseren erprobten Übungen lernst Du, Dein Stottern zu reduzieren – kostenlos und von zuhause.

Jetzt anmelden und sofortigen Zugang zu den Übungen gegen Stottern erhalten.

  • Archiv · Artikel


    Ptok, Martin
    Stottern – Pathogenese und Therapie
    The management of stammering
    Deutsches Ärzteblatt 103, Ausgabe 18 vom 05.05.2006, Seite A-1216 /


    Sprechen erfordert eine zeitlich und räumlich hoch präzise Koordination aller beteiligten Muskeln, die nicht allen Menschen immer gelingt. Eine sehr bekannte Störung des Sprechens ist das Stottern. Manchen großen Persönlichkeiten der Geschichte wie Charles Darwin, Isaac Newton oder Winston Churchill wird diese Unterbrechung des Redeflusses zugeschrieben.
    Unter Stottern (ICD F98.5) wird eine quantitativ und qualitativ von normal unflüssigem Sprechen unterscheidbare, unphysiologische Störung des Redeflusses verstanden, die meist mit einer überhöhten Anspannung artikulatorischer oder laryngealer Muskeln verbunden ist (1). Die Beschreibung im Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders DSM IV der American Psychiatric Association bezieht auch die Behinderungsebene („ ... interferes with academic or occupational achievement or with social communication“) mit ein.
    Die (Lebensspannen-)Prävalenz des Stotterns beträgt circa fünf Prozent.
    Etwa doppelt so viele Jungen wie Mädchen sind betroffen. Bei Mädchen beginnt das Stottern früher. Ein Großteil der Kinder verliert die Störung wieder bis zur Pubertät, insbesondere Mädchen. Das Stottern beginnt immer vor dem zwölften Lebensjahr, in 50 Prozent der Fälle zwischen dem dritten und vierten Lebensjahr, bei 90 Prozent vor dem sechsten Lebensjahr (2).
    Die (Punkt-)Prävalenz bei Schulkindern und Erwachsenen liegt bei ungefähr einem Prozent, allerdings stottern circa vier- bis fünfmal mehr Männer als Frauen. Häufiger betroffen sind Epileptiker, Patienten mit Zerebralparese und Patienten mit anderen neurologischen Syndromen (3).
    Ätiologie und Pathogenese
    Stottern tritt familiär gehäuft auf. Im Vergleich zu nichtstotternden haben stotternde Menschen etwa dreimal häufiger Verwandte, bei denen der Redefluss ebenfalls auf diese Weise gestört ist. Betroffene Frauen haben öfter stotternde Kinder als an der Sprechstörung leidende Männer. Bei eineiigen Zwillingen stottern häufiger beide als bei zweieiigen Zwillingen (4). Ein Erbgang konnte allerdings bisher nicht nachgewiesen werden. Es wird vielmehr angenommen, dass nicht das Stottern an sich, sondern die Veranlagung dazu vererbt wird.
    Da es auch eineiige Zwillinge gibt, von denen der eine stottert, der andere jedoch nicht, müssen auch nichtgenetische Einflüsse eine Rolle bei der Entstehung dieser Sprechstörung spielen. Es wird geschätzt, dass 70 bis 80 Prozent der Wahrscheinlichkeit, ob ein Kind zu stottern beginnt, genetisch bedingt ist.
    Stotternde Kinder zeigen häufiger eine verzögerte Sprachentwicklung. Bei ihnen sind Teilaspekte der auditiven Verarbeitung öfter beeinträchtigt und es wurden gehäuft Lateralisierungsanomalien beobachtet. Hierbei handelt es sich allerdings um Gruppeneffekte, eine notwendige und hinreichende Erklärung für das Stottern konnte bisher nicht identifiziert werden (3). Unterschiede in Persönlichkeitsstruktur, psychosozialem Umfeld und Intelligenz wurden immer wieder vermutet, fanden sich jedoch nicht.
    Neben der Suche nach der genetischen Ursache gibt es eine Reihe von Theorien, die zu erklären versuchen, warum jemand zu stottern beginnt und wie diese Störung des Sprechens aufrechterhalten wird. Außerdem wird der Frage nachgegangen, welche Faktoren ein einzelnes Stotterereignis bedingen und wie es abläuft.
    Einige Psychoanalytiker beschreiben Stottern als neurotisches Symptom in Form eines zielgerichteten Verhaltens, um unbewusste und unterdrückte Bedürfnisse zu befriedigen. Da das Stottern ein zwanghaftes Verhalten sei, könne es nur durch Lösung des zugrunde liegenden Konfliktes abgebaut werden (5). Trotz einer gewissen Popularität dieser Hypothese ist eine wissenschaftliche Fundierung nicht gelungen.
    Lerntheorien
    Nach lerntheoretischen Annahmen entstehen nicht nur Vermeidungs- und Fluchtverhalten, sondern auch die Kernsymptome aus dem misslungenen Versuch, flüssig sprechen zu wollen. Da auf die besondere Anstrengung zur Überwindung eines Symptoms – zumindest anfangs – die Auflösung der Blockierung und flüssiges Sprechen folgt, wird das Anstrengungsverhalten verstärkt. Stottern entstehe damit aus dem Versuch, nicht zu stottern (3).
    Breakdown-Theorien
    Nach den Breakdown-Theorien kommt es zu Stottersymptomen, wenn vor dem Hintergrund eines vererbten neurophysiologischen Defizits das komplizierte Zusammenspiel zwischen Atmung, Stimmgebung und Lautbildung fehlschlagen. Van Riper zum Beispiel sieht das Stottern als Schwierigkeit in der Programmierung, Sequenzierung und Zeitgebung beim Sprechen („disorder of timing“) (6). Andere Breakdown-Theorien vermuten eine Störung der auditiven Rückmeldung beim Sprechen (7, 8). Eine gewisse Bestätigung erhalten die Breakdown-Theorien durch Ergebnisse bildgebender Verfahren wie Positronenemissionstomographie (PET) (9) und funktionelle Kernspintomographie (fMRT) (10). Demnach könnten zentrale Schaltstellen zwischen Motorik, Sensorik und Sprechplanung (Rolandisches Operculum) im Sinne eines Reifungsproblems gestört sein. Diese Störung wird möglicherweise durch eine Aktivitätserhöhung in der rechten Hirnhälfte kompensiert.
    Multikausale und multifaktorielle Ansätze
    Im Rahmen multikausaler beziehungsweise multifaktorieller Theorien wird versucht, physiologische, psycholinguistische und psychosoziale Faktoren zu beschreiben, die eine disponierende, auslösende oder aufrechterhaltende Funktion haben.
    Bekannt geworden ist das so genannte „Anforderungen-Kapazitäten-Modell“ (1, 11, 12). Nach diesem Modell treten Störungen im Redefluss dann auf, wenn die Anforderungen an flüssiges Sprechen die aktuellen motorischen, kognitiven und linguistischen Kapazitäten übersteigen.
    Wertung
    Da sich für jede der genannten Hypothesen bestätigende und widerlegen-
    de Befunde finden lassen, ist eine abschließende Bewertung derzeit nicht möglich.
    Die Annahme einer individuellen Ursachenkonstellation nach multikausaler Theorie kann jedoch auf den einzelnen Patienten bezogen im Sinne der idiographischen Sichtweise für das Verständnis und die Therapie sehr dienlich sein.
    Symptomatik
    Nach Seemann (13) kann man eine Klassifikation der Stottersymptomatik in äußere, körperliche und innere, psychische Symptome vornehmen. Äußere Symptome sind von der Umwelt unmittelbar hör- und sichtbar, innere beziehen sich auf Gefühle und Einstellungen des Betroffenen, die vom Kommunikationspartner nicht unbedingt wahrgenommen werden (3).
    Äußere Symptome
    Leitsymptome umfassen primär die
    - Wiederholung von Einzellauten, Silben oder einsilbigen Wörtern – auch als klonisches Stottern bezeichnet
    - Lautdehnungen (Prolongationen)
    - Unterbrechungen von Worten
    - hörbare oder stille Blockierungen, das heißt, gefüllte oder ungefüllte Pausen im Redefluss – auch als tonisches Stottern bezeichnet.
    Stotterereignisse sind unter anderem von der Wortart, der Wortstellung im Satz, der Wortlänge und der Silbenstruktur abhängig und unterliegen bestimmten Regelmäßigkeiten.
    Neben dieser Primärsymptomatik treten häufig auch sekundäre Symptome auf. Hierzu zählen zum Beispiel erhöhte Anspannung artikulatorischer oder laryngealer Muskeln, Keuchen, Sprechen während der Einatmung, Zukneifen der Augen, Runzeln der Stirn, Vorstülpen der Lippen, Kopfnicken, Fußstampfen oder ähnliches. Es handelt sich dabei meist um Fluchtverhalten, bei dem der Betroffene versucht, die Primärsymptomatik zu überwinden.
    Zur Sekundärsymptomatik gehört auch die große Vielfalt von Vermeidungsverhalten, die von zeitlichem Aufschub und Startern – hörbar zum Beispiel als Interjektionen, das heißt, Einschüben – bis zum Vermeiden von Wörtern oder von Sprechsituationen geht.
    Die äußeren Symptome des Stotterns sind sehr variabel und können im Kindesalter sogar phasenweise ganz verschwinden.
    Der typische Ablauf eines Stotterereignisses ist in der Grafik skizziert.
    Innere Symptome
    Im Gegensatz zu den äußeren sind die inneren Reaktionen nicht vom Kommunikationspartner unmittelbar beobachtbar. Innere Symptome umfassen Gefühle, Reaktionen und Einstellungen von Stotternden wie beispielsweise Angst, Scham, Frustration, Aggression oder Regression. Auch können Betroffene ein negatives Selbstbild entwickeln und vermuten, dass sie als dumm oder nervös erachtet werden. Einsichten in das Gefühlsleben von „Stotterern“ können beispielsweise durch die Lektüre von Autobiographien Betroffener erlangt werden (15).
    Diagnose
    Die Diagnose ergibt sich aus der Beobachtung des Redeflusses mit den typischen Stottersymptomen. Zur Beurteilung der Schwere der Symptomatik kann ein Protokollbogen („Stuttering Severity Instrument“ [16]) eingesetzt werden.
    Bei Kindern sollten auch die Eltern hinsichtlich der Häufigkeit, der Intensität und der situativen Variabilität der Sprechstörung gezielt befragt werden. Es ist allerdings zu berücksichtigen, dass Eltern mit hohen Normerwartungen eventuell die Symptomatik dramatisieren, oder aber – etwa aus Angst vor sozialen Sanktionen – verharmlosen.
    Geklärt werden Fragen zur Sprachentwicklung des Kindes, zum Beginn der Symptomatik und der Lebenssituation zu diesem Zeitpunkt, zur Fluktuation der Symptomatik in Abhängigkeit von Belastungssituationen und zu Hänseleien oder Ablehnung durch das Umfeld im Rahmen der Familienanamnese. Daneben sollte auch auf eventuelle Begleitstörungen in Form von Verhaltensauffälligkeiten, Vermeidungsverhalten mit sozialem Rückzug, mangelndem Selbstwertgefühl oder psychosomatischen Beschwerden eingegangen werden.
    Redeunflüssigkeiten beim Stottern werden im deutschsprachigen Raum häufig nach der vorherrschenden Symptomatik in ein klonisches, tonisches und klonisch-tonisches Stottern differenziert. Die Übergänge sind fließend, außerdem können sich die Merkmale im Laufe der Entwicklung ändern, sodass diese Unterteilung rein beschreibend ist. Unterschiedliche Störungsbilder werden damit nicht voneinander abgrenzt (3).
    Differenzialdiagnose
    Stottern sollte abgegrenzt werden von (17):
    - Ticstörungen (F95): unwillkürliche, rasche, wiederholte, nichtrhythmische Bewegung meist umschriebener Muskelgruppen oder Sprachlautproduktion, die plötzlich einsetzt und keinem erkennbaren Zweck dient
    - Poltern (F98.6): hohe Sprechgeschwindigkeit mit Abbrüchen des Redeflusses, aber keine Blocks oder Lautdehnungen, mit deutlicher Beeinträchtigung der Sprachverständlichkeit
    - Störung des Sprechrhythmus bei neurologischen Erkrankungen – insbesondere infantile Zerebralparese oder Erkrankungen des extrapyramidalen Systems; in der Regel generalisierte Veränderungen von Suprasegmentalia, Mischformen mit Repetitionen, möglich sind auch Blocks
    - Zwangsstörungen (F42): unter anderem wiederkehrende Zwangshandlungen mit stereotypem und für Betroffene mit quälendem Charakter (wie zum Beispiel wiederholtes zwanghaftes Händewaschen).
    Therapie
    Trotz gegenteiliger Behauptungen wurde eine Kausaltherapie des Stotterns bisher nicht gefunden. Allerdings gibt es wohl kaum eine Behandlung in diesem Bereich – so verwegen sie auch erscheinen mag – die nicht zumindest dem einen oder anderen Betroffenen geholfen hat.
    Verführerisch – weil schnelle Hilfe versprechend – sind neben Vokaldehnungs- oder Rhythmisierungsübungen besonders apparative Sprechhilfen wie beispielsweise die Verwendung eines Metronoms, Geräte zur Maskierung und Geräte zur verzögerten sowie zur frequenzverschobenen auditiven Rückmeldung. Häufig gelingt mit diesen
    apparativen Sprechhilfen selbst bei schwer Betroffenen eine schlagartige Normalisierung des Redeflusses. Leider gibt es aber zu keiner dieser Hilfen überzeugende Nachweise eines dauerhaften Erfolges.
    Heute werden überwiegend verhaltenstherapeutische Methoden eingesetzt. Ansätze mit dem Ziel, dem Patienten zu flüssigerem Sprechen zu verhelfen, findet man in zwei gegensätzlichen Vorgehensweisen: der Modifikation des Stotterns („Non Avoidance“) und der Modifikation des gesamten Sprechens („Fluency Shaping“).
    Modifikation des Stotterns
    Die grundlegende Idee bei der Modifikation des Stotterns besteht darin, die sekundären Reaktionen auf die primären Unterbrechungen des Redeflusses abzubauen.
    Hierbei ist im Gegensatz zum „fluency shaping“ eine Modifikation des gesamten Sprechablaufs nicht notwendig. Der Patient soll nur beim Auftreten von Sprech- und Redeunflüssigkeiten Einfluss auf den Sprechablauf nehmen. Die Stottermodifikation nach Van Riper (18) gliedert sich in verschiedene Phasen. Der Patient soll
    - seine Primär- und Sekundärsymptomatik sowie die innere Symptomatik identifizieren
    - Ängste und negative Emotionen reduzieren; Desensibilisierung als Voraussetzung, um während des Stotterns in den Sprechablauf eingreifen zu können
    - mit verschiedenen Techniken, wie zum Beispiel der Nachbesserung oder dem Blocklösen, ein leichteres beziehungsweise flüssigeres Stottern ohne Anstrengung erlernen (Modifikation)
    - die genannten Techniken sicher einsetzen können (Stabilisierung).
    Dieser Aufbau zielt darauf, schrittweise die willentliche Kontrolle über das Sprechen zu erlangen und die Kommunikation durch die Reduktion von Angst und Vermeidung weniger zu beeinträchtigen – daher die Bezeichnung Nicht-Vermeidungsansatz („Non Avoidance“).
    Modifikation des Sprechens
    Im Gegensatz zur Stottermodifikation wird bei der Sprechmodifikation, dem „Fluency Shaping“, versucht, eine komplett neue Sprechweise aufzubauen, die frei von Stotterereignissen ist. Die neu erlernten Sprechmuster werden schrittweise einem natürlich klingenden Sprechen angeglichen und in die Alltagssituationen übertragen. Es handelt sich also um einen globalen Ansatz, bei dem neue Sprechmuster – Engramme – geschaffen werden sollen. Bei manchen dieser Therapien wird vorübergehend auch eine apparative Sprechhilfe oder Biofeedback eingesetzt.
    Kombination der Methoden und Bewertung
    In der therapeutischen Praxis werden häufig beide Therapieansätze kombiniert. Kein Ansatz allein oder eine bestimmte Kombination hat sich bisher als überlegen erwiesen; Evidenzlevel nach ACHPR 92 (19): Stottermodifikation: IIa; „fluency shaping“: III; Therapien nach dem Anforderungen-Kapazitäten-Modell III/IV; Integrierte Ansätze: IV; Therapie bei Kindern Ib, IIa, III.
    Entsprechende Therapieevaluationsstudien sind besonders deshalb problematisch, weil die Symptomatik interindividuell sehr unterschiedlich und
    intraindividuell sehr wechselnd sein kann. Zudem sollte ein positives Therapieergebnis nur dann als Erfolg gewertet werden, wenn dauerhaft eine Regression erreicht wurde.
    Die Erfahrung zeigt, dass Patienten individuell unterschiedlich von den Ansätzen profitieren, sodass der Nutzen einer Behandlung vom Geschick und der Erfahrung des Therapeuten abhängt.
    Therapie bei Kindern
    Ab wann und wie Kinder mit Störungen im Redefluss therapiert werden sollten, wird kontrovers diskutiert. Das beruht einerseits auf unterschiedlichen Meinungen zur Genese des Stotterns, andererseits aber auch auf der hohen Remissionsrate (80 Prozent) und dem Feh-
    len von Prädiktoren hinsichtlich einer Spontanremission. Die Befürchtung, man könne mit einer zu frühen Behandlung ein Störungsbewusstsein beim Kind erzeugen und damit eine Chronifizierung begünstigen, spielt ebenfalls eine Rolle.
    Meist wird heute auch bei kleinen Kindern, das heißt, direkt nach der Phase der so genannten Wortschatzexplosion und Beherrschen erster Konstituentenstrukturen, eine Behandlung befürwortet. Untersuchungen belegen, dass bei Kleinkindern die Generalisierung fließenden Sprechens besser und nachhaltiger gelingt. Eine Tabuisierung des Stotterns kann das Empfinden von Scham fördern und zur Aufrechterhaltung der Redeflussstörung beitragen. Zur Abklärung der Behandlungsnotwendigkeit sollte den Eltern in jedem Fall geraten werden, einen Spezialisten für Sprachstörungen mit Erfahrung im Bereich kindliches Stottern aufzusuchen.
    Generell wird – bezogen auf die Stottersymptomatik – zwischen indirek-
    ten und direkten Therapien unterschieden. Bei der indirekten Therapie werden die Eltern beraten beziehungsweise bestimmte Voraussetzungen für die Sprachentwicklung verbessert. Letzteres können zum Beispiel Mundmotorik- oder Wahrnehmungsübungen bewirken. Direkte Therapien werden als Stottermodifikation oder „Fluency Shaping“ in kindgerechter Form durchgeführt.
    Eine Kombination aus Stottermodifikation und indirekter Therapie ist die Behandlung nach dem Anforderungen-Kapazitäten-Modell. Dabei werden Anforderung und Kapazitäten für flüssiges Sprechen beim Kind zunächst genau analysiert, um dann die Anforderungen zu senken und die Kapazitäten aufzubauen. Zur Verringerung der Anforderungen zählen beispielsweise der Abbau des Zeitdrucks und das Einlegen von Pausen zwischen Sprecherwechseln.
    Medikamentöse Behandlung
    In der Vergangenheit gab es Versuche (20), in der Stottertherapie Pharmaka, zum Beispiel Haloperidol als systemisches und Botulinumtoxin als lokal in die Kehlkopfmuskulatur zu injizierendes Medikament einzusetzen. Obwohl weiterhin mit sehr unterschiedlichen Wirkstoffen experimentiert wurde und wird, hat sich noch keines bewährt, weil dauerhafte Erfolge ausblieben. Bei den beiden Wirkstoffen Riperidon und Olanzapin muss gegebenenfalls ein Off-Label-Use beachtet werden; noch nicht zugelassen sind verschiedene GABA-A-Rezeptor-Modulatoren wie Pogaclone (www.patentstorm.us/patents/6855721.html).
    Möglicherweise beeinflussen auch Nebenwirkungen und/oder die Furcht vor Gewöhnung die Akzeptanz.
    Selbsthilfegruppen
    Der Besuch einer Selbsthilfegruppe für Stotternde kann durchaus sinnvoll sein. Behandelnde Ärzte sollten auf jeden Fall zumindest auf diese Option hinweisen und entsprechende Adressen aushändigen. Auch sollten Eltern unbedingt auf Elterngruppen aufmerksam gemacht werden; sie können erheblich zur Entlastung beitragen (3) (Kasten).
    Alternative Therapien
    Der Nachweis einer Wirksamkeit von Trainingsverfahren zur „Hemisphärenkoordination“ – beispielsweise kinesiologische Übungen, Lateraltraining mit Synchro- oder Lateral-Trainer – wurde nicht erbracht; diese Methoden entbehren einer wissenschaftlich fundierten Grundlage. Ein Wirksamkeitsnachweis fehlt ebenso für Hypnosetherapien, Akupunkturbehandlung und Bioresonanztherapie.
    Prognose
    Trotz der bereits erwähnten hohen Spontanremissionsrate sollte den Eltern eines stotternden Vorschulkindes nicht wie früher zum Abwarten, sondern zu einer fachkompetenten Untersuchung geraten werden.
    Bei erwachsenen Patienten kann es zwar vorübergehend durchaus zu einer völligen Regredienz der Stottersymptomatik kommen. Es muss allerdings davon ausgegangen werden, dass die dabei entwickelten Kompetenzen in individuell unterschiedlichen Zeiträumen „aufgefrischt“ werden müssen. Als vielversprechendes Therapie-Setting hat sich deshalb die Intensiv-Intervall-Therapie etabliert, bei der nach einer Intensivphase in größeren zeitlichen Abständen „Refresher“ angeboten werden.


    Manuskript eingereicht: 19. 12. 2005, revidierte Fassung angenommen: 2. 3. 2006


    Dr. Natke ist Inhaber des Verlages Ulrich Natke, Neuss. Die anderen Autoren erklären, dass kein Interessenkonflikt im Sinne der Richtlinien des International Committee of Medical Journal Editors besteht.


    zZitierweise dieses Beitrags:
    Dtsch Arztebl 2006; 103(18): A 1216–1221.




    Anschrift für die Verfasser:
    Prof. Dr. med. Dr. h.c. Martin Ptok
    Klinik und Poliklinik
    für Phoniatrie und Pädaudiologie
    Medizinische Hochschule Hannover
    Carl-Neuberg-Straße 1
    30625 Hannover



    Zum Artikel
    PDF-Version
    Literaturverzeichnis
    zum Inhaltsverzeichnis
    Leserbrief schreiben
    Grafik
    Kasten
    Autoren
    Ptok, Martin
    Schlagwörter
    Differenzialdiagnose
    Pädiatrische Erkrankung
    Pathogenese
    Prognose
    Sprachstörung
    Stottern

    Deutscher Ärzte-Verlag; entwickelt von L.N. Schaffrath NeueMedien GmbH