Hilfe, Beginnen eines Telefonates...

Kostenlos: 5 Übungen gegen Stottern

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    • Offizieller Beitrag
    Zitat

    Original von BruceWilles
    Vermeidungsverhalten ist das bewusste oder unbewusste Einsetzen einer entwickelten Strategie, sobald man fühlt, dass man ins Stottern kommt.


    Das ist der Punkt. Sobald man fühlt ... , Bruce, ist zu spät. Wenn man es in der von Dir beschriebenen Form betrachtet, gebe ich Dir Recht. Man vermeidet, will das Stottern nicht haben. Wenn Du Dich aber von vornherein auf das Hier und Jetzt konzentrierst, wenn es Dir egal wird, ob Du stotterst oder nicht, bekommt Dein Sein eine neue Qualität, jenseits von Routinen und (Gefühls-, Handlungs-, Vermeidungs-) Mustern.


    @ all: Definition des Denkens (Berthold Brecht): Denken ist etwas, was auf Schwierigkeiten folgt und dem Handeln voraus geht.


    Das ist Stoff zum Nachdenken! :D

  • Kuckuck,


    hier mal meine Meinung dazu.


    Ich habe in den Jahren festgestellt, dass sich die meisten Stotterer, die ich kennen gelernt habe, im Augenblick eines Stotterblocks in eine Regression hineinbegeben - das heißt, sie rutschen in einen frühkindlichen Bewusstseinszustand. Ich habe noch keinen Stotterer erlebt, der sich während des Stotterns ganz im Hier und Jetzt (Erwachsenen-Ich) aufhält. Ein Stotterer, so meine Beobachtung an mir selbst und an anderen, folgt dem starken kindlichen Reiz, etwas jetzt sofort unbedingt erreichen zu wollen, in dem Fall ein Wort oder einen Satz aussprechen zu wollen. F.M. Alexander nannte das "Zielstreberei": Wir möchten etwas mit kindlicher Impulsivität erreichen, und dabei ist uns der Weg dorthin sch...egal. Es ist uns egal, wie wir dabei aussehen, es ist uns egal, mit welchen körperlichen und mentalen Kraftanstrenungen ein Stottererblock einhergeht. Hauptsache, wir erreichen unser Ziel. Da die meisten von uns das schon viele Jahre so trainiert haben und die Erfahrung gemacht haben, dass diese Zielstreberei tatsächlich irgendwann zum gewünschten Ergebnis führt, gibt es uns das ein Gefühl vermeintlicher Sicherheit. Viele von uns üben also, einer Sprechsituation aus einem Kindheits-Ich-Zustand heraus zu begegnen. Achtet mal auf die Formulierungen, die Ihr während des Sprechens benutzt. Kommen da Wörter vor wie "super", "krass", "heftig", "geil" etc.? Wie ist die Intonation beim Sprechen? Ist sie bestimmt und selbstsicher oder driftet sie in Tonhöhen ab, in denen sie eigentlich nichts zu suchen hat?


    Stottern ist kindliche Zielstreberei. Aber nicht nur das Stottern - im Grunde funktioniert unsere gesamte Gesellschaft auf Basis des Zielstrebertums. Deswegen ist es auch unheimlich schwer, dies zu durchkreuzen!


    Der Herr Alexander schlägt in seinem Buch "Der Gebrauch des Selbst" vor, die Zielstreberei gänzlich auszumerzen und sie konsequent durch die "Mittel, wodurch" zu ersetzen. Das heißt, es ist ja OK, das Bedürfnis zu haben, sich mit einem anderen Menschen zu unterhalten - aber halt nicht zu jedem Preis, nicht in Form von Zielstreberei. Also, die Mittel wodurch... Was sind denn die technischen Mittel, durch die ein Mensch sprechen kann? Nun, einerseits bringt die Atmung die Stimmbänder zum Schwingen, und die Stimmbänder wiederum erzeugen Resonanz im Mundraum, die dann durch Lippen- und Zungenbewegungen zu Lauten ausgearbeitet wird. Rein technisch also gar nicht so schwer.


    Aber was nützt uns das, wenn der äußere Reiz, unser Ziel zu erreichen, so stark ist?


    Alexander schlägt vor, erstmal gar nichts zu tun, so lange wir diesen Reiz noch spüren. Er nennt das Inhibition = Innehalten. Auch Hans hat das Innehalten in sein Training integriert: Einatmen, Ausatmen, PAUSE.


    Mit der Pause fängt nach Alexander alles an, sie ist die Basis für jede Handlung, ob ich nun sprechen möchte, mir die Zähne putze oder etwas essen will. Diese PAUSE allerdings fällt den allermeisten Stotterern, die ich kennen gelernt habe, unheimlich schwer. Denn sie bedeutet, dass man eine Zeit in Kauf nehmen muss, in der wirklich nichts passiert - und dass man es in Kauf nehmen muss, am Anfang eines Telefonats erstmal nichts zu sagen und es zu ertragen, dass der Gesprächspartner - der ja auch ein Zielstreber ist - ungeduldig "Hallo? Hallo? Haaaaaalooooo???" in den Hörer meckert. Im Grunde muss ich also nicht nur selbst inne halten, sondern ich muss auch dafür sorgen, dass der Gesprächspartner inne hält. Das ist wirklich schwierig.


    Als ich im Stotterer-Training noch aktiv war, hatte ich meine größten Erfolge nicht durch die Atemtechnik. Auch bei Holger Prüß enstanden die Erfolg nicht durch den weichen Einsatz. Sondern die Erfolg hatte ich immer dann, wenn es mir gelang, NICHTS ZU TUN und nicht dem Reiz zu folgen, sprechen zu wollen.


    Ich für mich glaube mittlerweile ganz im Sinne von Alexander, dass fließendes Sprechen dann entsteht, wenn ich:


    1. konsequent nichts tue und nicht meinen kindlichen Impulsen folge;
    2. immer noch nichts tue;
    3. mir den Hals frei wünsche als würde ich mir wünschen, dass es schönes Wetter gibt;
    4. irgendetwas tue, was ich sonst nicht getan hätte; also zum Beispiel atmen oder aber einen Arm heben oder mich einmal im Kreis drehen oder einen Purzelbaum schlage oder aber etwas völlig anderes sage oder tue, um die alte Verhaltensweise zu durchkreuzen.


    Ist das Vermeidung?
    Ja, ich denke schon. Aber eine positive, erstrebenswerte Vermeidung. Nämlich die Vermeidung der Regression in die Zielstreberei. Wenn einem Stotterer das über Jahre konsequent gelingen würde - und zwar nicht nur in Bezug auf sein Stottern, sondern in Bezug auf restlos jede Handlung im Leben, dann hätte er eine echte Chance, sich irgendwann wirklich als geheilt zu bezeichnen.


    Jeder Block, durch den ich mich hindurchkämpfe, unterstützt die Zielstreberei. Insofern ist ein offener Umgang damit zwar ganz OK, aber nicht des Rätsels Lösung, denn ich werde immer ein Zielstreber bleiben, wenn ich damit nicht aufhöre.


    ABER: Nichtsun ist gar nicht so leicht! Denn sowohl der äußere Reiz (die anderen Menschen sind auch Zielstreber, das sollte man nicht unterschätzen) als auch der innere Reiz (frühkindliche Prägung und real gesammelte Lebenserfahrungen) sind super mächtig! Um also wirklich geheilt zu werden, müsste man im Grunde seine komplette Konditionierung über Bord werfen! Und da ist der Haken bei diesen ganzheitlichen Geschichten: Das geht halt nicht von heute auf morgen, sondern es ist eine Lebensaufgabe! Und es werden immer "Restkontraktionen" übrig bleiben.


    Insofern schlage ich einen Kompromiss vor: Es sich verzeihen, dass man momentan noch ein Zielstreber ist und nach Möglichkeit die eine oder andere Technik umsetzen. Und sich als Zielstreber outen und mit Blocks oder ohne durch möglichst jede Situation in Angriff nehmen. Aber nach Möglichkeit am Ball bleiben und immer mehr Handlungen des Alltags mit dem Prinzip der "Mittel, wodurch" meistern und somit - ja, tatsächlich - vermeiden. Aber nicht im Sinne von negativer Ablenkung und Symptomverstärkung, sondern im Sinne von mentaler Potenz und Widerstandskraft gegen allgemeingültige gesellschaftliche Verhaltensregeln. Ganz im Sinne der Punk-Bewegung: Macht kaputt, was Euch kaputt macht! :)


    Und noch mal was zur goldenen Nase im Gesundheitsbereich:


    Nein, verdammt, es ist nicht selbstverständlich, dass so Leute wie Hans (oder auch ich und alle anderen Therapeuten, die ich kenne) sich den A... aufreißen, um Leuten beizubringen, wie sie damit aufhören können, Zielstreber zu sein - um dann gerade mal eben so wirtschaftlich über die Runden zu kommen. Das ist nicht selbstverständlich und dieser Situation sollte auch kein Respekt gezollt werden. Ich finde, gerade Therapeuten sollten ein Leben im Wohlstand führen und sie sollten darum kämpfen, dass es sich so entwickelt. Einsparungen im Gesundheitswesen hin oder her, da haben wir Selbständigen ja eh nicht viel mit zu tun, Gott sei Dank. Ich finde, die Leute können für ihre Gesundheit ruhig ein bisschen Kohle hinblättern - sie kaufen sich ja auch Hosen für 300 Euro.


    So, gibt's noch was zu meckern? Nee, mir reicht's erstmal... :)


    Aber als Zusammenfassung für den Threaderöffner:
    Mein Rat: Erstmal offensiv durchstottern, sich die momentane Zielstreberei verzeihen - und daran arbeiten, sie durch die "Mittel, wodurch" zu ersetzen. Nicht nur beim Stottern, auch beim Zähneputzen.


    Bis dann dann
    Björn

  • hallo andi,


    auch wenn dein beitrag schon etwas älter ist, will ich doch gerne was dazu sagen. vielleicht auch total unnötig, weil du mittlerweile liebend gerne telefonierst - das wäre natürlich am tollsten;).


    ich kenne das von dir geschilderte nur zu gut. auch ich stottere seit über zehn jahren ohne das ich mit jemandem darüber gesprochen hätte. gerade in letzter zeit kommt es aber immer öfter durch, darüber sprechen ist aber einfach nochmal was ganz anderes.
    gerade das du dich deinen eltern, freunden und deiner freundin nicht anvertraust kann ich total nachvollziehen. es ist viel leichter darüber mit einem "unbeteiligten" zu sprechen, als mit jemandem der emotional mit dir verbunden ist.
    auch ich bin so gesehen ein "versteckter" stotterer und gerade das macht das outing so unglaublich schwer.
    Wenn mein bei jedem satz hängen bleibt, stellt sich die frage ob man sich "outen" soll gar nicht erst. jeder denkt, man ist gut im job und kriegt alles ganz locker hin - wie soll man den da auf einmal sagen: "Äh,..du übrigens ich stottere!!!".
    vielleicht hast du ja mittlerweile einen weg gefunden, das wäre toll.
    es stimmt, wenn man sich seinen lieben nicht anvertraut ist man nicht ganz ehrlich, aber ich denke es ist eine unwahrheit die insbesondere jeder betroffene nachvollziehen können müsste. (puh, das kann man sicherlich auch weniger kompliziert ausdrücken).
    bezüglich des telefons denke ich aber auch, das die angst nur durch aktion abgebaut werden kann. natürlich wird nicht jedes telefonat glücken, aber die angst vor der angst fühlt sich schon nicht mehr so mächtig.
    nachdem ich dir jetzt so kluge ratschläge gegeben habe, ist es an der zeit selbst daran zu arbeiten - und kein nicht-stotterer weiss wie viel schweiß so an anruf kosten kann.
    liebe grüße
    leni09