Eine bewegende Woche ging zuende...
Irgendwann haben mir meine Eltern mal einen Zeitungsausschnitt von einem gewissen Hans Liebelt mit den Worten "Lies dir das mal durch!" in die Hand gedrückt. Wie immer habe ich mir gedacht, dass ich doch gar nicht so schlimm stottere, und wenn jemand wissen wolle, was ich sage, müsse er mir eben genau zuhören und meine Stotterblocks ertragen.
Jedoch habe in wegen meines Studium im Moment viel Stress und habe vor 3 Monaten das Rauchen aufgegeben, das mir auch noch etwas Ruhe gegeben hat. Seit dem ging gar nichts mehr! Selbst in vielen Situationen, in denen ich früher total flüssig gesprochen habe, musste ich nun stottern. Also wühlte ich mich durch meinen überfüllten Schreibtisch und kramte den Zeitungsartikel wieder heraus, den ich zum Glück nicht in die "Rundablage" gelegt habe. So kam es, dass ich an dem Stotterer-Trainig teilgenommen habe. Jedoch erstmal als Schnupperwochenende, das ich nach dem Wochenende sofort in ein Jahrestraining verlängert und die gesamte Woche mitgemacht habe.
Freitag, 18.05h. Mist, ich war zu spät! Etwas beschämt ging ich in das Georghotel, fragte nach einem "Hans Liebig"... Scheisse! Auch noch den Namen falsch gesagt, wie mich die Rezeptionsdame korrigierte. Ab nach oben ins Turmzimmer. Ein Stuhlhalbkreis mit ca. 15 Personen war schon anwesend. Ich brummelte mein "Gudn Abnd" heraus und setzte mich. Dummerweise sass ich ja nun am Rand des Stuhlhalbkreises. Ängstlich schaute ich zu Hans, der gerade an seiner Videokamera rumspielte... ich ahnte schon, was kommen würde und betete "Lieber Gott! Bitte, bitte, bitte, lass mich nicht als ersten dareinsprechen müssen... bitte lass Hans am anderen Ende des Stuhlhalbkreises beginnen!" Gemäß Murphy's Law erhörte mich niemand: ich kam als erster dran. Mit einem relativ flotten Sprüch auf den Lippen ("Wer als letztes kommt...") ging ich dann zur Videokamera. Es war ein verdammt langer Weg, stuttering man walking.
Nachdem ich diese Tortur über mich ergehen lassen habe (und alle anderen auch), fing Hans mit seinem Programm an: Was ist stottern, Zwerchfell, Atemtechnik, Sprechtechnik, Hände in die Flanken, usw.
Ausserdem hat Hans uns schonmal mental auf die Dynamische Meditation vorbereitet. Naja, was hatte ich zu verlieren?
Also stand ich am Samstag, 18.30h auch wieder auf der Matte und quälte mich durch die Dynamische (weil sie auch im sportlichen Sinn ein Herausforderung ist). Nach dem Frühstück war hartes Trainig angesagt: Hände in die Flanken! Einatmen - ausatmen - Pause - einatmen - ausatmen - Pause - ... - Satz auswendig lernen - beim Ausatmen den Satz "aus sich heraus pressen" - letzte Luft rauspressen - Pause - einatmen - ausatmen - ...
So ging es den ganzen Tag! Zwischendurch mal eine Meditation, Mittagessen, Verschnaufpausen. Aber im Grossen und Ganzen haben wir gelernt, neu zu atmen und neu zu sprechen. Faszinierend! Wenn man diese Technik korrekt angewendet hat, war Stottern fast unmöglich.
Am Sonntag war dann ein ähnlicher Tagesablauf, nur mit dem Unterschied, dass wir noch die Wahrnehmungslenkung gelernt haben und einige Spiele, wie "Sag mir, wer du bist!", gemacht haben.
WOW! Wenn ich mich wirklich konzentriert habe, konnte ich flüssig sprechen! Das war ein Gefühl, das ich seit ca. einem Jahr nicht mehr gespürt hatte.
Also habe ich am Montag direkt den Jahresvertrag unterzeichnet. Am Montag waren auch die meisten Nachsorgler und Schnupperteilnehmer nicht mehr da, so dass wir mit einer kleinen Gruppe aus 8 Leuten noch effektiver, als es sowieso schon war, trainieren konnten. Die ganze Atmosphäre wurde etwas familiärer, wir erzählten uns persönliche Geschichten und Hans versprühte seine aus tiefsten Herzen kommende Fröhlichkeit, Weisheit und auch Besorgtheit, womit er uns Teilnehmer durchwegs motiviert hat.
Montag war auch der Tag, an dem ich meine Sprechangst (vorerst innerhalb der Gruppe) komplett verloren hatte. Ein schönes Gefühl!
Montag Nachmittag war unser erstes kleines Outdoor-Trainig. Jeder bekam eine Aufgabe. Ich musste mich in einer Apotheke nach pflanzlichen Konzentrationsmitteln erkundigen. Ein komisches und ungewohntes Gefühl, mal ohne richtigen Grund zu sprechen. Früher habe ich das Sprechen auf ein Minimum reduziert und jetzt sollte ich aus "Jux und Dollerei" nach irgendwas fragen. Aber ich habe natürlich auch diese Übung gemacht. Und nachdem ich den netten Apotheker über den Sinn der Fragerei aufgeklärt hatte, meinte er, dass er gar nicht gehört habe, dass ich Stotterer bin. Diese Aussage hat mich tierisch aufgebaut!
Der normale Tagesablauf bestand ab nun aus der Dynamischen, Frühstück, Atmungs- und Sprechtrainig, Meditation (Wipassana), Mittagessen, Outdoor-Trainig, weiterführende Übungen und Reflexion des Tages.
Am Mittwoch waren wir in der Wittener Innenstadt, in der wir das Outdoor-Trainig gemacht haben. Dort habe ich (in Hans' Beisein) einen Polizisten nach meinem Stotterblock gefragt. Aber meine Feuertaufe war am Donnerstag.
Ich wollte es wissen! Also fragte ich Hans schon Mittwoch Abend, was ich tun könne, um mich wirklich "hardcore" zu testen. Hans hatte dann die wirklich gute Idee, dass ich am Donnerstag bei der WAZ (einer Zeitung) einen Vortrag halten könne. Also erst nach der Redaktion fragen, dann zur Redaktion gehen und fragen, ob ich eine Vortrag über das Stottern halten darf... naja, und dann eben loslegen!
Puhh! Nicht nur, dass ich Mittwoch Abend etwas nervös war, die ganzen Übungen am Donnerstag Morgen machte ich wie in Trance mit. Ich musste immerzu an die WAZ denken! Bei der Wipassana war es am schlimmsten. Jaja, "wenn ein Gedanke kommt, verabschiedet euch von ihm und lasst ihn ziehen", das sah ungefähr so aus: "Hallo WAZ! Tschüss WAZ! ... Atem ... Hallo WAZ! Tschüss WAZ! ... Atem ... Hallo WAZ" usw. Ich war also richtig nervös!
Als der Zeitpunkt dann gekommen war, war ich immer noch nervös, aber gut vorbereitet. Hans und zwei weitere Teilnehmer begleiteten mich. Erst wollten die Dame am Empfang uns irgendwie abwimmeln, aber schliesslich kamen wir doch zu einer jungen Redakteurin durch. Also hielt ich meinen Vortrag, demonstrierte "das Zwerchfell" und stellte mich den Fragen. Hinterher wurde daraus ein richtig nettes Gespräch zwischen allen Beteiligten. Dann kam auch noch der Fotograph, der von uns Fotos geschossen hat, weil ein Artikel über diesen Vortrag und das Stotterer-Trainig wirklich in die WAZ kommt. Ich bin schon gespannt!
Freitag haben wir das Trainig dann locker ausklingen lassen. Für eine Woche waren es auch genug Herausforderungen und Erfolge. Hans hat uns noch ein paar abschliessende Tipps gegeben und dann haben wir uns verabschiedet.
Mein Fazit:
Ich kann jetzt fliessend sprechen! Und selbst wenn ich mal einen Block habe, weiss ich, wie ich den beheben kann. Um weiterhin fliessend sprechen zu können, muss ich aber "dran bleiben", also Atemübungen machen und meditieren.
Aber das ist nicht das Einzige. Ausserdem habe ich viele nette Personen kennengelernt. Ich denke, wenn Hans nicht der Mensch wäre, der er ist, wäre das Training nur halb so effektiv! Am meisten hat mich Hans' positive Lebenseinstellung aufbauen können. Zwei Zitate von Hans, die zeigen, dass er mit IM Boot sitzt und nicht von einem Leuchtturm auf das Boot runter schaut: "Ich urteile nicht!", "Ich bin kein Lehrer! Nur ein Freund will ich sein." Danke für diese schöne und lehrreiche Zeit!
Ich freue mich schon auf den März, in dem wir uns hoffentlich alle wiedersehen!
Hendrik