Liebe LeserInnen!
Weil Björns 2. Bericht, den ich kurioserweise als erstes ins Forum gestellt habe, großen Anklang gefunden hat, bringe ich nun auch seinen ersten Bericht in diese Kommunikationsplattform. Vielleicht wird der eine oder andere von Euch, durch Björns wunderschöne Art zu schreiben, angeregt, an seiner jetzigen Situation mit aller Energie zu arbeiten.
"Es ist besser, ein Kerze anzuzünden, als über Dunkelheit zu klagen."
In diesem Sinne: Viel Spaß!
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Erfahrungsbericht – das Stotterer-Training bei Hans Liebelt in Lüdenscheid...
... kam so plötzlich in mein Leben, dass ich erst jetzt richtig begreife, was sich mir da für eine Chance offenbart hat. Dennoch spüre ich, dass das genau der richtige Zeitpunkt war, etwas Derartiges zu erleben.
Um das, was für mich dort passiert ist, verständlicher zu machen, muss ich etwas weiter ausholen.
Ich stelle mir schon sehr lange immer wieder dieselbe Frage: wie kann es sein, dass ich, als selbstbewusster junger Mann, die 1996 in Bonn erlernten, normalerweise gut greifenden Sprechtechniken einfach nicht in den Alltag umsetzen kann?
Es war immer wieder die gleiche Situation: der Björn saß 20 Minuten an seinem Lesetext, übte die schon längst perfekt erlernten Sprechtechniken, ging dann zum Telefon, rief den unfreiwilligen Übungspartner an, und als der dann abhob, sprang der Hebel im Kopf um. Welcher Hebel?, wird sich jetzt vielleicht der oder die eine oder andere fragen. Der für mich allesentscheidende Hebel ist hier gemeint, der Hebel, der unter anderem schon immer verhinderte, dass ich mich auf mein Sprechen verlassen konnte.
Es gibt in meinem Kopf und somit auch in meiner Sprechmotorik genau zwei Arten zu sprechen: entweder super angespannt und hilflos oder einfach nur flüssig. Leider schaffte ich es nie, den Hebel zwischen „ja, die Techniken funktionieren“ und „nein, die Techniken können nicht funktionieren“, willentlich umzulegen. Somit richtete sich mein Sprechverhalten immer nach der Laune meines Unterbewusstseins, die meistens schlecht war. Und das, obwohl ich alles getan hatte, was ich konnte.
Ich bin kein Profi im Analysieren der menschlichen Psyche, aber ich mache mir besonders seit einem Jahr sehr viele Gedanken darüber, wie es auf psychischer Ebene zu erklären ist, dass ich funktionierende Techniken habe, die nur dann funktionieren, wenn dieser Hebel im Kopf auf „ja!“ eingestellt ist.
Vor einem Jahr nämlich hat sich bei mir folgendes ereignet: ich fing mal wieder intensiver an, mich um eine Verbesserung meines Sprechens zu bemühen. Ich erreichte – durch eine weitere ambulante Therapie – auch eine Verbesserung, die mein Unterbewusstsein ganz strikt mit sehr heftigen Depressionen belohnte. Ich hatte auf einmal Panikattacken, hatte Angst vor meinem eigenen Spiegelbild, meiner eigenen Stimme, vor allen Dingen, die mich irgendwie nach vorne bringen könnten.
In den Jahren meiner Pubertät hatte ich öfters mal den sehr penetranten Gedanken, mein Leben vorzeitig zu beenden, weil es sich mir so schwarz darstellte – und dieser Gedanke kam auf einmal zurück. Das war vor ziemlich genau einem Jahr, und ich fühlte mich sehr hilflos.
Ich redete hauptsächlich ganz lange mit meiner Mutter darüber, aber irgendwie half mir das auch nicht so viel weiter. Ich hatte Angst, verrückt zu werden, redete mir sehr lange ein, bereits verrückt zu sein. Denn mein Leben stellte sich mir sehr surreal vor, das heisst ich erlebte alles wie hinter einer dicken Panzerglasscheibe.
Alle meine Leute schienen kilometerweit von mir entfernt zu sein, ich war mit mir alleine – immer! Ich konnte vor mir nicht fliehen, fürchtete mich vor meinem eigenen Bewusstsein. Ich fuhr überall hin, Hamburg, Schweden, Berlin... mein Bewusstsein war immer bei mir und jagte mir Angst ein.
Ich meldete mich bei einer Psychologin an, bei der ich immer noch überflüssigerweise auf der Warteliste stehe (es haben halt viele Leute Probleme mit sich selbst).
Aber gleichzeitig hatte ich auch die größten Erfolgserlebnisse, die man sich überhaupt vorstellen kann: ich schrieb eine Hausarbeit für die Uni: 1,3 (die erste „1“ seit der Grundschule!), ich absolvierte ein sehr gutes Praktikum bei der Taz-Ruhr-Redaktion, bekam dort ein supergutes Zeugnis, das wirklich nicht alle bekommen. Ich erlebte allerlei Fortschritte mit meinem Stottern...
Aber die ganze Zeit, das ganze Jahr 2000, kam mir mein Leben wie ein einziger Traum vor. Zwar ein größtenteils schöner Traum, aber dennoch furchteinflössend, weil ich nicht aufwachen konnte. Und immer die Angst, tatsächlich verrückt zu werden, durchzudrehen und irgendetwas zu tun, was nicht mehr rückgängig gemacht werden konnte. Immer die Angst, dass sich der Traum in einen Albtraum verwandeln könnte.
Ich versuchte, die Angst aufzuschreiben, sie auf Tonband zu sprechen, ich versuchte, mit einigen Leuten darüber zu reden – aber nichts hinderte meinen Kopf daran, ständig in Panik auszubrechen.
In meiner Not besuchte ich dann im Spätherbst einen Psychologen des Studierendenhauses an der Uni. Bei ihm bekam ich nicht einen Ton heraus, und ich fühlte die ganze Zeit, dass im Prinzip diese Sitzungen überhaupt nichts bringen. Weil das Problem woanders lag.
Und irgendwann unterhielt ich mich abends beim Bier mit einem guten Kumpel, der mir schon länger mal etwas von seinem „geistigen Stottern“ erzählen wollte. An diesem Abend packte er aus, was er damit meinte: er sagte mir, dass er manchmal so komische Vorstellungen in seinem Kopf hätte, was das für Vorstellungen waren, sage ich jetzt hier nicht. Ist ja auch nicht wichtig.
Er sagte, die Vorstellungen seien schon jahrelang dort drinnen, und er hätte die ganze Zeit Angst gehabt, ein Psychopat zu sein. Gefährlich zu sein. Er hätte lange versucht, sich damit abzufinden, dass er einfach total durchgeknallt sei, und dass er diese Vorstellungen wohl akzeptieren müsste. Bis er durch einen Zufall an ein Buch gekommen sei, das (glaube ich) „Was machen Sie, nachdem Sie guten Tag gesagt haben?“ hiess. Dieses Buch ist (glaube ich) von jemandem namens Bern, und in ihm ist die sogenannte Skripttheorie erklärt, die beschreibt, warum wir Menschen Dinge tun, die uns gar nicht so bewusst sind. Wir haben vorgeschriebene Regeln in unseren Köpfen, die zumeist gegen uns arbeiten. „Skripts“ nennen sich diese Regeln.
Mein Kumpel erzählte und erzählte, er berichtete mir von „Verliererskripts“ und von Menschen, die sich selbst bestrafen müssen (beispielsweise mit Selbstverletzung durch Rasierklingen oder so etwas), weil es ihnen eine Zeit lang gut ging.
Tja, und da ging mir ein Licht auf: können meine Ängste / Traumwahrnehmungen / Depressionen daher kommen, dass ich Anfang des Jahres eine Veränderung angestrebt habe, die mein Unterbewusstsein so nicht haben wollte?
Ja! Mir wurde in den Tagen danach immer mehr bewusst, was überhaupt mit mir los ist: ich lebe seit zwei Jahren selbständig, ohne meine Eltern, in Eigenverantwortung. Ich mache Erfolge in der Uni, beim Wing Tsun (chinesische Kampfkunst) etc. – und jetzt noch das Stottern verändern?
All das arbeitete gegen meine „Verliererskripts“, gegen die Strukturen in meinem Kopf, die mir unter anderem sagten und sagen:
1. Du bist auf deine Eltern angewiesen. Du kannst nicht selbständig leben.
2. Alle Veränderungen ins Positive bedeuten Schmerzen. Am wohlsten fühlst du dich, wenn du dich im Selbstmitleid suhlen kannst.
3. Im Grunde bist du auf der Welt, um ständig auf die Schnauze zu fallen und dir Gedanken zu machen.
4. Alle Versuche, etwas gegen das Stottern zu unternehmen, scheitern.
Mir wird seitdem immer klarer, dass diese „Verliererskripts“ gegen mich arbeiten, dass sie nicht zulassen wollen, dass ich gewinne, dass ich mich verändere, dass ich mein Stottern loswerde... Seitdem ich das weiss, ist die Angst, richtig verrückt zu werden, nicht mehr ganz so gross. Denn seitdem habe ich einen Gegner und muss jetzt nur noch einen Weg finden, ihn zu besiegen. Ich glaube, ihn gefunden zu haben.
Ich habe versucht, darauf einzugehen, indem ich mir dachte: du musst diese vernichtenden Strukturen doch ändern können! Aber ich wusste nicht wie. Ich unterhielt mich oft mit diesem besagten Kumpel, der unter dem „geistigen Stottern“ leidet, stand und stehe in regem Emailkontakt mit einer um 13 Jahre älteren Frau, die sich ebenfalls schon lange mit der Skripttheorie auseinandersetzt – alles half ein bißchen, aber eben nicht genug.
Zwischendurch passierten noch einige dramatische Geschichten, die hier aber den Rahmen sprengen würden. Ich veränderte meine Ansichten zu einem Großteil, versuchte, für alles offen zu sein, was mir über den Weg lief. Und dann lief mir tatsächlich etwas über den Weg: das Seminar von Hans Liebelt.
(Fortsetzung in nächsten Beitrag)